Synthetische Biologie

Dossier

Synthetische Biologie - Gentechniker, Informatiker und Ingenieure

Künstliches Leben produzieren?

Die Synthetische Biologie verfolgt die Idee, künstliches Leben zu erschaffen, um es industriell zu nutzen. Dabei werden ähnliche Methoden wie bei der Gentechnik verwendet. Aber: es werden nicht nur Gene, die in der Natur vorgefunden werden, isoliert und in andere Organismen eingebaut. Es wird teilweise auch komplett neuer genetischer Code mittels Computer-Software geschrieben und anschließend "gedruckt", also im Labor nachgebaut.

Die Kosten sind teils schon so gering, dass eine Szene von "Bio-Hackern" entstanden ist, die von der heimischen Garage aus bastelt. Nötig ist nur die entsprechende Software - das Drucken des Erbguts aus Zucker übernehmen Dienstleistungslabore.

Die Synthetische Biologie könnte sowohl für die Medizin als auch für die Landwirtschaft, die Chemie oder die Energieerzeugung genutzt werden. Eine gesellschaftliche Debatte wird darüber so gut wie gar nicht geführt, bemängeln kritische Wissenschaftler. Gesetzliche Regelungen oder Kontrollen gibt es bisher nicht. Kritiker beschreiben die Synthetische Biologie als eine "extreme Form" der Gentechnik.

„There is something living on this planet whose parent is a computer and not a living entity.“

Sakkie Pretorius, südafrikanischer Mikrobiologe, Biotechnologe und SynBio-Forscher, 2014

Wie funktioniert synthetische Biologie?

Die Synthetischen Biologie erschafft neues genetisches Material mit gewünschten Eigenschaften. Aber auch bereits existierende Genkonstrukte sollen nachgebaut und so leichter verfügbar gemacht werden.

Es gibt verschiedene Verfahren der Synthetischen Biologie:

Beim Bottom-up-Verfahren werden Erbgutabschnitte künstlich hergestellt. Dabei wird z. B. natürlich vorkommendes Erbgut komplett kopiert. So wurden Viren bereits im Labor hergestellt. Forscher erhoffen sich, in Zukunft auch komplexe Lebewesen zu produzieren.

Beim Top-Down-Verfahren werden biologische Organismen soweit reduziert, dass nur noch ein funktionales Gerüst von ihnen übrig bleibt. Es soll mit definierten Funktionen ausgestattet werden, wodurch ein neuer Organismus geschaffen wird.

Definition unklar

Was genau "Synthetische Biologie" ist, wird noch diskutiert. Drei Expertengruppen der EU haben im September 2014 eine Arbeitsdefinition aufgestellt:

"SynBio is the application of science, technology and engineering to facilitate and accelerate the design, manufacture and/or modification of genetic materials in living organisms."

(dt.: SynBio ist die Anwendung von Wissenschaft, Technologie und Ingenieursarbeit, um das Design, die Herstellung und/oder die Veränderung von genetischen Materialien in lebenden Organismen zu ermöglichen und zu beschleunigen.")

Dass diese Definition sehr breit und ungenau ist, kritisierte auch eine der drei Expertengruppen. Sie ist für die Beratung der EU in Fragen des Verbraucherschutzes zuständig. Die Definition könne in dieser Form auch auf die Gentechnik und andere Formen der Biotechnologie zutreffen. Die Wissenschaftler schlugen im vorläufigen Papier von Juni 2014 vor, weitere Aspekte aufzunehmen, beispielsweise die Verwendung künstlich hergestellten Genmaterials, die Reduzierung auf ein Minimal-Genom oder die Verwendung "unnatürlicher" Nukleotide (Bausteine der DNA). Obwohl diese Aspekte nicht aufgenommen wurden (stattdessen wurde die Definition noch gekürzt), ist ihre "Minderheitenmeinung" im finalen Papier von September nicht mehr enthalten.

„Our basic understanding of biology is still very limited. All of the expectations about synthetic biology have frankly not been able to be met in the time frame that investors would have liked."

Keith Roper, US-amerikanischer Experte für neue Technologien an der Universität Arkansas, 2014

Kritik an der Synthetischen Biologie

Die Synthetische Biologie wirft viele ethische Fragen auf, eine öffentliche gesellschaftliche Debatte fehlt jedoch bisher. Dabei geht es bei dem Vorhaben, Leben neu zu schaffen um ganz grundlegende Fragen. Was ist Leben überhaupt? Können Menschen Leben erschaffen? Kritiker merken an, dass Leben nicht nur das ist, was im Labor beschrieben werden kann, sondern dass Leben Entwicklung bedeutet, die nicht berechenbar und kontrollierbar ist. "Lebende Maschinen", von denen in diesem Zusammenhang gern gesprochen wird, sind demnach ein Widerspruch an sich. Wenn Menschen zukünftig bestimmen, wie Leben aussieht, ist das besser, als es der Natur zu überlassen?

Eine Gefahr der Synthetischen Biologie liegt ähnlich wie bei der Anwendung der Agro-Gentechnik darin, dass wir nicht wissen, wie sich Lebewesen mit künstlichem Genom in der Natur verhalten. Gleichzeitig ist es schwierig, sie von natürlichen Lebewesen zu unterscheiden oder sie zu kontrollieren.

Sicher ist, dass es bei der Synthetischen Biologie darum geht, Leben verwertbar, patentierbar zu machen. Testbiotech aus München merkt an, dass sich Öl- und Chemie-Konzerne erhebliche Einnahmen durch die Nutzung synthetischer Organismen versprechen. Die Energieausbeute von Rohstoffen soll mit künstlich hergestellten Mikroorganismen optimiert werden. Der Klimaschutz wird dabei als Grund für den Einsatz von sogenannten Synthie-Fuels herangezogen. Der ökologische Nutzen ist dabei jedoch sehr fraglich.

„SynBio alternatives for chemical products and industrial processes might not actually be more sustainable than traditional products.“ Wissenschaftliche Kommissionen der EU, Dezember 2015

Im Gegenteil, durch die unkontrollierte Verbreitung von künstlichen Organismen drohen ökologischen Gefahren. Auch die Konkurrenz um landwirtschaftliche Flächen, die zur Herstellung von Rohstoffen benötigt werden, könnte zunehmen. Trotzdem werden diverse Projekte im Bereich der Synthetischen Biologie mit EU-Geldern gefördert.

Organisationen wie Testbiotech, Friends of the Earth und ETC Group fordern deshalb gesetzliche Kontrollen und Regularien für die Arbeit mit der Synthetischen Biologie, die es bisher nicht gibt. Die weitere Entwicklung und Anwendung der Synthetischen Biologie, vor allem von staatlichen Geldern unterstützt, müsse solange gestoppt werden.

„Life is a DNA software system."

Craig Venter, US-amerikanischer Pionier der Synthetischen Biologie, 2013

Von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen

Eine öffentliche Debatte über die synthetische Biologie findet in Deutschland kaum statt. Zwar gibt es einzelne Medienberichte, doch wesentlich weniger als beispielsweise über die Agro-Gentechnik. Etwas mehr Aufmerksamkeit erfuhr das Thema 2010, als der Biochemiker Craig Venter, der an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms arbeitet (und umstrittene Patente hält), bekannt gab, den ersten künstlichen Organismus geschaffen zu haben.

Das mediale Interesse nahm danach aber wieder ab, fand der Kommunikationswissenschaftler Markus Lehmkuhl von der Freien Universität Berlin heraus. Er meint: solange die Politik sich nicht einschaltet, z.B. mit Vorschlägen zur Regulierung der synthetischen Biologie, wird die Diskussion über Für und Wider der Technologie - und damit zusammen hängende ethische Fragen - nicht in Fahrt kommen.

Manche, wie der Vorsitzende der kanadischen ETC Group, Pat Mooney, sind aber auch der Meinung, dass das Zeitfenster für ethische Fragen schon wieder geschlossen sei. Es seien schon zu viele Millionen in die synthetische Biologie, vor allem bei Biokraftstoffen, investiert worden - auch an öffentlichen Forschungsgeldern: "Wenn zahlreiche Unternehmen und große Wirtschaftszweige riesige Summen in Joint Ventures und Partnerschaften mit neu gegründeten Firmen stecken und Produktbeteiligungen erwerben - und es gibt bereits solche Produkte am Markt –, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass man auf Ethik- oder Gesetzesvertreter hört, ganz rapide ab."

Lehmkuhl 2011: Die Repräsentation der synthetischen Biologie in der deutschen Presse

Mooney 2011: Vortrag bei der Tagung des Deutschen Ethikrates (S. 107-115)

„Ich bezweifle, dass der Mensch reif genug ist, die chemische Steuerung seines Schicksals zu übernehmen. Aber wird er es jemals sein?“

Jean Rostand, französischer Biologe, 1962

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