Das Europäische Parlament stimmt morgen über einen Bericht ab, der zu höheren Investitionen in die Pflanzenzucht aufruft. Kritiker sehen darin den Versuch, gentechnik-ähnlichen Züchtungsverfahren den Weg zu ebnen.
Im Agrarausschuss wurde der Bericht zur Pflanzenzucht bereits mit 25 zu 4 Stimmen angenommen. Erarbeitet hat ihn die schwedische Liberale Marit Paulsen. Sie argumentiert: Europa brauche mehr genetische Vielfalt und mehr öffentliche Investitionen in die Züchtung von Pflanzen – als Gegengewicht zu einer Handvoll Konzernen, die den Saatgutmarkt dominieren. Hört sich gut an, könnte man meinen. Die Vertretung der Bio-Landwirtschaft in Brüssel, IFOAM, sieht darin aber einen Türöffner für Gentechnik und neue, gentechnik-ähnliche Züchtungsmethoden.
Ob letztere als Gentechnik gelten, muss die EU noch festlegen. Für die Hersteller wäre es von Vorteil, wenn sie als konventionelle Verfahren eingestuft werden – denn dann fielen langwierige Zulassungsverfahren und Kennzeichnungsvorschriften weg, die für gentechnisch veränderte Pflanzen gelten. Die Liberale Paulsen fordert von der EU-Kommission jedenfalls, schnell über die neuen Techniken zu entscheiden. Sie plädiert für Offenheit gegenüber „verfügbaren Technologien“ und dafür, diese mit Geldern aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 voran zu treiben.
Rechtlich hat das morgige Votum des Parlaments keine Wirkung. Die Kommission greift solche Initiativen aber häufig auf. Sorgen macht IFOAM deshalb auch ein zweiter Bericht einer Parlamentarierin. Die britische Konservative Anthea McIntyre hat ihren Entwurf ebenfalls dem Agrarausschuss vorgelegt, auch er wurde angenommen – mit 22 zu 10 Stimmen allerdings nicht ganz so deutlich. Das könnte daran liegen, dass ihr Text wesentlich gentechnik-freundlicher daher kommt. McIntyre drängt die EU zu einer Förderung der neuen Techniken. Alle Techniken, die nicht als Gentechnik eingestuft würden, müssten genauso wie konventionelle Verfahren behandelt werden und kein gesondertes Zulassungsprozedere durchlaufen.
Explizit erwähnt die Britin, deren Parteifreund und Umweltminister Owen Paterson sich immer wieder für die Gentechnik ins Zeug legt, die Cisgenetik. Pflanzen, die mittels Cisgenese entwickelt werden, sollen nach dem Willen McIntyre – und des Agrarausschusses – nicht als gentechnisch verändert gelten. Dabei werden hier dieselben Methoden genutzt wie bei der „klassischen“ Gentechnik – allerdings innerhalb der gleichen Pflanzengattung, während bei der Transgenetik auch Gene aus fremden Organismen, beispielsweise Bakterien, eingebaut werden. Für das schweizerische Forschungsinstitut für Biologischen Landbau handelt es sich deshalb auch um Gentechnik: „Auch bei cisgenen Pflanzen wird durch den Gentransfer direkt in die intakte DNA einer Pflanze eingegriffen und die Integrität des Kerngenoms gestört.“ Über McIntyres Bericht stimmt das Parlament im März ab.
Bei den neuen Züchtungstechniken handelt es sich um eine Fülle von Methoden, die politisch noch nicht als Gentechnik oder nicht-Gentechnik eingestuft wurden. Eine Arbeitsgruppe der EU hat einige der Verfahren überprüft und im Jahr 2011 Empfehlungen ausgesprochen. Ein Beispiel: mit der Oligonukleotid-gesteuerten Mutagenese wurden bereits Rapspflanzen entwickelt, die die gleiche Eigenschaft wie die meisten Gentechnik-Pflanzen haben – sie sind resistent gegen ein Spritzmittel, das den Landwirten gleich mit verkauft wird. Die EU-Arbeitsgruppe sah darin jedoch keine Gentechnik-Methode. Anders beurteilt dies das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau: „Es werden mittels technischer Eingriffe isolierte DNA-Sequenzen in den Zellkern gebracht und somit die Integrität der Zelle als funktionelle Einheit verletzt.“ Also doch Gentechnik.
Ein Bericht der Baudirektion des Kantons Zürich, der im Auftrag des Schweizer Bundesamt für Umwelt erstellt wurde, kommt zu dem Schluss: die Methode könne sowohl als Gentechnik als auch als nicht-Gentechnik eingestuft werden. Vieles hängt von der Betrachtungsweise ab. In jedem Fall könne es durch das Verfahren aber zu unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut der Pflanzen kommen. [dh]