Also doch: es gibt ernstzunehmende wissenschaftliche Hinweise, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat bei Mäusen Krebs auslöst. In einem geheimen Bericht, den das ARD-Magazin FAKT veröffentlicht hat, erkennt das nun auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) an. Trotzdem beharrt die Behörde darauf, bei „sachgerechter Anwendung“ bestehe für Menschen kein Krebsrisiko.
Aus dem Bericht wird klar, warum die deutsche Behörde und die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) mehrere Studien zu Glyphosat bislang unterschiedlich bewerteten. Während die IARC anerkannte Statistikverfahren einsetzte, um die Relevanz von Fütterungsstudien mit Labormäusen zu überprüfen, verließ sich das BfR zunächst auf die von den Autoren gemachten statistischen Angaben. So steht es unverblümt in dem Papier. Dabei werden solche Studien meist von der Industrie selbst durchgeführt.
Weil die Debatte über das meistverkaufte Herbizid jedoch kein Ende nahm, überlegte die deutsche Behörde es sich offenbar anders und bewertete die Studien noch einmal mit den gleichen statistischen Verfahren wie die IARC. Ergebnis: es gibt doch „positive Trends“ bei der Tumorbildung von Mäusen, denen im Labor Glyphosat verabreicht wird. Dem BfR fielen bei der gründlichen Auswertung sogar noch weitere Indizien für das Krebspotenzial der Chemikalie auf, über die zuvor noch gar nicht berichtet worden sei. „Die statistische Analyse der IARC wurde bestätigt und ausgeweitet“, bilanziert die Behörde in dem vertraulichen Papier von Ende August. Aufgrund der Datenlage und der unterschiedlichen Herangehensweise sei es „evident, dass beide Agenturen zu begründeten Schlussfolgerungen gekommen sind.“
Das klang vor einigen Monaten noch ganz anders: noch im Juni bemängelte das BfR unter anderem die Datenbasis der IARC. Allerdings bleibt die deutsche Behörde auch jetzt, nach der erneuten Überprüfung und Bestätigung der IARC-Einschätzung der Tierversuche, bei seinem Gesamtfazit: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass auf Grundlage von elf validen Kanzerogenitätsstudien an Mäusen und Ratten gemäß dem 'Weight of Evidenz' geschlussfolgert werden kann, dass bei sachgerechter Anwendung von Glyphosat als Herbizid kein Krebsrisiko für den Menschen besteht“, schreibt das BfR in seinem Vorwort zu dem geheimen Bericht, den es an die EU übermittelte. Denn, so die Begründung, man könne bei der Krebsbewertung „nicht nur eine statistische Signifikanz von Tumorinzidenzen (…) zum ausschlaggebenden Kriterium“ machen.
Interessant ist auch, wie sich die Behörde zu anderen Risiken von Glyphosat äußert. Die IARC hatte auf eine möglicherweise erbgutschädigende Wirkung hingewiesen. Das BfR teilte hingegen noch im Juni mit: „Die Anhaltspunkte für ein genotoxisches Potenzial von Glyphosat können aus dem von der IARC veröffentlichten Kurzbericht nicht nachvollzogen werden.“ Doch im Vorwort zu seinem Bericht von August empfiehlt die Behörde nun „ausdrücklich, dass zukünftig für alle PSM [Pflanzenschutzmittel, Red.] regulatorisch verwendbare Studien zum genotoxischen Potential durchzuführen sind.” Denn in einigen Studien mit Säugetieren, Fischen oder Amphibien stellte jetzt auch das BfR einen Zusammenhang von glyphosathaltigen Herbiziden und Ergbutschäden fest.
Zwei Studien hätten mit der Comet-Assay-Methode auch Auswirkungen von „Roundup Ultra“ auf Versuchstiere festgestellt. Allerdings, so das BfR, gebe es noch zu wenig Erfahrung im Umgang mit dieser Technik. Deshalb bleibe es „unentschieden“, ob die Ergebnisse für den Menschen relevant seien. „Roundup Ultra“ ist das Spritzmittel, mit dem Monsanto eine Verlängerung der EU-Zulassung von Glyphosat um zehn Jahre beantragt hat. Die Behörde verweist darauf, dass die genaue Zusammensetzung von glyphosat-haltigen Herbiziden Geschäftsgeheimnis der Hersteller sind. Deshalb sei es schwierig, festzustellen, was genau zu DNA-Schäden führt.
Aus Sicht der FAKT-Journalisten ist nach Durchsicht der vertraulichen Dokumente klar: „Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat die Öffentlichkeit im Zusammenhang mit dem umstrittenen Pflanzengift Glyphosat jahrelang falsch informiert.“ Der Grünen-Politiker Harald Ebner kommentierte: „Das Addendum macht die Tragweite des Skandals deutlich. Kein Wunder, dass das BfR das Dokument lieber komplett unter Verschluss halten wollte. Es muss dort notgedrungen zugeben, dass die Hinweise auf eine krebserregende Wirkung von Glyphosat noch viel klarer sind als von der IARC dargestellt.“ [dh]