Eine schweizerische Ethikkommission hat sich mit neuen Methoden befasst, mit denen das Erbgut von Pflanzen und Tieren im Labor verändert wird. Bei fast allen, so die Experten, „kommt Gentechnik in der einen oder anderen Form zur Anwendung“. Sie empfehlen, derart gen-editierte Organismen „ohne Einschränkung“ zu kennzeichnen um die Wahlfreiheit von Landwirten und Züchtern, aber auch Verbrauchern, zu schützen. Unabhängige Forscher dürften zudem nicht per Patent ausgeschlossen werden.
Bislang wird ihnen ihre Arbeit oft dadurch erschwert, dass die Patentinhaber – im Fall der Gentechnk häufig Saatgut-Konzerne wie Monsanto, Syngenta oder Bayer – Pflanzen und Laborwerte unter Verschluss halten. Das dürfe nun beim „Genome Editing“, CRISPR und anderen neuen „Neuen Pflanzenzüchtungsverfahren“ nicht so weitergehen, mahnt die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) in einer am Montag veröffentlichten Stellungnahme. „Um eine angemessene Risikobeurteilung zu ermöglichen, soll (echte) Risikoforschung gefördert werden. In diesem Zusammenhang soll geprüft werden, wie der Zugang zum pflanzlichen Material gewährleistet werden kann, damit Ergebnisse durch unabhängige Dritte überprüft werden können. Auch ist zu überlegen, wie der Zugang zu unveröffentlichten Studien und Studien mit negativen Forschungsergebnissen gesichert werden kann.“
In der EU – und auch in der Schweiz – wird zurzeit diskutiert, wie eine Reihe von neuen Techniken, mit denen ins Genom von Lebewesen eingegriffen werden kann, zu beurteilen sind. Von ihnen begeisterte Forscher und Saatgut-Industrie drängen darauf, sie nicht als „Gentechnik“ einzustufen. Geht ihr Wunsch in Erfüllung, würde die aus ihrer Sicht zu aufwendige Risikobewertung entfallen. Die Pflanzen oder auch Tiere könnten schneller vermarktet werden. Mit Spannung erwartet wird daher eine Einschätzung Brüssels, die in den kommenden Wochen vorgelegt werden soll.
Zwar geht die Ethikkommission davon aus, dass die Risiken nicht unbedingt größer werden, wenn der Eingriff ins Genom tiefer wird. Doch „je weiter ein Verfahren von natürlichen Abläufen entfernt ist“, desto weniger „Erfahrungswissen“ liege vor. Und auch wenn die Hersteller beteuern, Genome Editing sei präziser als die herkömmliche Gentechnik, so können die Techniken aus Sicht der Schweizer Experten „neben beabsichtigten genetischen Veränderungen der Pflanzen weitere unbeabsichtigte und unvorhergesehene Veränderungen zur Folge haben. Auch epigenetische Effekte können auftreten und sind teilweise auch erwünscht.“
Daher rät das Gremium, die neu entwickelten Organismen nicht allein danach zu beurteilen, was am Ende nachweislich in ihnen drin steckt – und widerspricht damit Forderungen der Gentechnik-Industrie, sich nicht länger am Prozess der Herstellung sondern nur noch am Endprodukt zu orientieren. „Eine Pflanze ist kein statisches Produkt, sondern ein Organismus, der in dauernder Wechselwirkung mit seiner ebenfalls nicht statischen Umwelt steht“, betont die Ethikkommission. „Daraus folgt, dass sich nicht alle für eine adäquate Risikobeurteilung relevanten Parameter allein am Produkt untersuchen lassen.“
„Selbstverständlich bleibt auch nach diesem Verständnis die Produktbeurteilung ein zentraler Bestandteil der Risikobeurteilung. Aufgrund des unvollständigen Wissens über die Wirkungen eines Verfahrens auf das Produkt und seine Umwelt darf diese Risikobeurteilung jedoch nicht unabhängig vom Verfahren erfolgen, mit dem das Produkt hergestellt wurde.“ Das gelte auch „in jenen Fällen, bei denen in den Produkten (möglicherweise auch nur nach heutigen Methoden) keine gentechnischen Veränderungen nachweisbar sind“.
Das in europäischem Recht verankerte Vorsorgeprinzip – im Zweifel soll Vorsicht vor wirtschaftlichem Interesse gehen – muss aus Sicht der Ethiker erhalten bleiben. So könnten Schäden abgewendet werden, die unter anderem durch Resistenzen bei Unkräutern oder Schädlingen, die sich an die Dauergiftbehandlung auf Gentech-Plantagen gewöhnen, oder durch „die Entwicklung von allergenen und toxischen Eigenschaften“ bei gen-editierten Pflanzen eintreten könnten. Dem Argument, durch das Vorsorgeprinzip werde Innovation in der Pflanzenforschung blockiert, erteilt die Kommission ebenfalls eine Absage. „Zulassungsverfahren und Regulierungen für Technologien, die mit Risiken behaftet sind, würden gerade deshalb Innovationen auslösen können, weil vermehrt an alternativen Technologien und Problemlösungsansätzen geforscht wird.“
Wichtig ist für die Ethikkommission auch die Wahlfreiheit von Verbrauchern, Landwirten und Züchtern. Damit die auch in Zukunft die Wahl zwischen mehreren Optionen haben, raten die Experten der Politik, „geeignete Deklarationsvorschriften einzuführen. Diese sollen sowohl über die Inhalte des Produkts als auch über das Verfahren, mit dem es hergestellt wurde, ohne Einschränkung Auskunft geben.“ Außerdem müsse an den Stellschrauben der Forschungspolitik gedreht werden, so dass nicht immer mehr „technologieintensive Ansätze“ verfolgt werden, sondern auch „die komplexen Wechselwirkungen (einschliesslich der konkreten Anbausituation und anderer Umwelteinflüsse) (sic!)“ einbezogen werden.
Und: die europäische Politik sollte sich gemeinsam auf einen Umgang mit den neuen Gentechniken einigen, so eine weitere Empfehlung. „Es sollte vermieden werden, auf nationaler Ebene Präzedenzfälle zu schaffen, wie zum Beispiel mit dem mittels Rapid Trait Development System (RTDS) hergestellten Raps der Firma Cibus, der Anfang 2015 in Deutschland als 'nicht gentechnisch verändert' eingestuft wurde.“ Diese Entscheidung des deutschen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, einen Genome-Editing-Raps durchzuwinken, war auf harsche Kritik von Umwelt- und Verbraucherorganisationen gestoßen. Auch die EU-Kommission bat, die eigene, seit Längerem erwartete Einstufung abzuwarten. Der Anbau des Cibus-Rapses wurde vorerst verhindert, weil Umweltschützer, eine Saatgutfirma und ein Lebensmittelhersteller dagegen Klage eingereicht haben.
In der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich, die die schweizerische Regierung berät, sind neben Philosophen und Juristen auch Agrarwissenschaftler, Biologen und Tiermediziner vertreten. [dh]