Hätte ein Unternehmen die Absicht, einen mit dem Verfahren CRIPSR-Cas9 gegen Mehltau resistent gemachten Weizen in Deutschland anzupflanzen, wäre das möglicherweise nicht genehmigungspflichtig. Ob dieser Weizen als gentechnisch verändert gilt und damit zugelassen werden muss, werde im Einzelfall prozess- und produktbezogen betrachtet und bewertet, heißt es im Entwurf zum Gentechnikgesetz, der gestern im Kabinett verabschiedet wurde. Ein solches Vorgehen widerspräche einer Aufforderung der Europäischen Kommission an die Mitgliedsländer aus 2015: Bis sie die neuartigen Gentechnikverfahren rechtlich bewertet habe, sollten die Länder keine damit veränderten Organismen freisetzen.
Das Schreiben der Kommission betraf den Streit um eine Rapslinie des US-Herstellers Cibus, die mittels Oligonukleotid-gesteuerter Mutagenese (OgM) herbizidresistent gemacht worden war. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hatte sie nicht als gentechnisch verändert (GVO) eingestuft. Die Kommission verwies hingegen darauf, dass es illegal sei, GVO ohne Genehmigung freizusetzen.
Die Bundesregierung scheint das wenig zu stören. Ganz kurzfristig hatte sie offenbar die Passage zur Einzelfallprüfung bei neuartigen Züchtungstechniken in die Begründung ihres neuen Gesetzentwurfs eingefügt. In dem im Zuge der Verbändebeteiligung öffentlich diskutierten Text war sie noch nicht enthalten. Und dieser Umgang mit CRISPR-Cas9 & Co. scheint auch der aktuellen Praxis des BVL zu entsprechen. Wie eine Sprecherin sagte, komme es bei der Frage, ob eine Pflanze als GVO einzustufen sei vor allem darauf an, ob die gentechnische Veränderung in der Pflanze als solche erkennbar sei oder ob sie „auch auf natürliche Weise durch Kreuzen oder natürliche Rekombination hätte entstehen können.“ Und in einer aktualisierten Stellungnahme des BVL zu den neuen Techniken heißt es: „Organismen, die durch ODM und CRISPR-Cas9-Techniken hervorgerufene Punktmutationen aufweisen, sind keine gentechnisch veränderten Organismen (GVO) im Sinne der Richtlinie.“ Gemeint ist die Freisetzungsrichtlinie der Europäischen Union.
In der neuen Passage im Regierungsentwurf wurde ferner dem etablierten und im EU-Umweltrecht verankerten Vorsorgeprinzip ein „Innovationsprinzip“ gegenüber gestellt. Das Vorsorgeprinzip legte bisher fest, dass sich jede Maßnahme am Wohl der Menschen und der Erhaltung der Umwelt ausrichten müsse. Jetzt heißt es in dem Entwurf wörtlich: „Die Bundesregierung geht davon aus, dass auch bei der Freisetzung und dem Inverkehrbringen von Organismen, die mittels neuer Züchtungstechniken wie CRISPR/Cas9 erzeugt worden sind, unter Zugrundelegung des Vorsorgeprinzips und des Innovationsprinzips ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet wird.“
Benedikt Haerlin von „Save Our Seeds“ hält die Relativierung des Vorsorgeprinzips im Gesetzestext für gefährlich: „Verschiedenen Industrieverbänden wie etwa dem Verband der Chemischen Industrie ist das Vorsorgeprinzip schon lange ein Dorn im Auge. Mit einem undefinierten und demokratisch bisher in keiner Weise legitimierten „Innovationsprinzip“ wird hier versucht, die Fundamente des europäischen Umweltrechts zu erschüttern. Diese Lobby-Attacke sollte der Bundestag scharf zurückweisen.“
Der Streit um den Cibus-Raps ist übrigens noch nicht entschieden. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz und zwei Unternehmen hatten gegen die Entscheidung des BVL Klage beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht. Wann darüber mündlich verhandelt wird, ist offen. [vef]