Die Studie der französischen Wissenschaftler um Gilles-Eric Séralini zu den Folgen des Gentechnik-Mais-Verzehrs sorgt in Europa weiterhin für hitzige Debatten. Im Interview erklärt der Gentechnik-Experte Dr. Christoph Then, warum das so ist. Und warum die Ergebnisse der Untersuchung ernst genommen werden müssen.
Infodienst (ID): Warum gibt es ausgerechnet für diese Studie so viel Aufmerksamkeit in den Medien? Was ist das Besondere der Untersuchung?
Dr. Christoph Then (CT): Es gibt relative wenig Langzeitstudien mit gentechnisch veränderten Pflanzen und bei den meisten dieser Studien ging man schon beim Versuchsaufbau davon aus, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht gefährlich seien. Da bleiben natürlich Zweifel, wenn dann die Ergebnisse veröffentlicht werden. Zudem gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die gar nicht ordentlich veröffentlicht wurden. Die Studie aus Frankreich ist interessant, weil sie über einen längeren Zeitraum geht, nach den gängigen Standards veröffentlicht wurde - das heißt, sie wurde vor der Veröffentlichung in einem peer-review-Verfahren einem Gutachtergremium vorgelegt. Und sie wurde unabhängig von der Gentechnik-Industrie finanziert. Dazu kommen die alarmierenden Befunde, die insbesondere in Frankreich sehr medienwirksam veröffentlicht wurden. Und schließlich die heftige Reaktion der Industrie – so wurde diese Studie rasch zum Politikum.
ID: Wie lässt sich aus Ihrer Sicht die Intensität der Kritik an der Studie von Séralini und seinen Kollegen erklären?
CT: Es geht inzwischen nur noch zum Teil um die Fakten, es geht um die Deutungshoheit und um finanzielle Interessen. Die Industrie will vermeiden, dass ihre Produkte in Zweifel gezogen werden und dass die Prüfstandards angehoben werden. Eine Studie, die medienwirksam platziert wurde und erhebliche Risiken von gentechnisch verändertem Mais aufzeigt, gefährdet diese Strategie. Zudem ist Séralini ja nicht zum ersten Mal mit kritischen Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen. Die Hoffnung der Industrie ist, dass man ihn als Wissenschaftler kalt stellen kann. Befeuert wird die Diskussion von scheinbar unabhängigen Experten, die nie Kritik an unzureichenden Studien der Industrie geübt haben, sich aber jetzt als Hüter der Wissenschaft in Szene setzen. Man hat den Eindruck, da findet ein regelrechtes Mobbing statt.
ID: Zu den Kritikpunkten im Detail: Monsanto, der Hersteller des NK603-Gentechnik-Maises, hat in einer Pressemitteilung bemängelt, die Studie entspräche nicht den OECD-Standards. Stimmt das? Und sind die OECD-Standards denn so aussagekräftig?
CT: Niemand – auch nicht die EU Kommission – ist der Ansicht, dass die derzeitigen Standards der OECD ausreichen, um aussagekräftige Fütterungsstudien mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu machen. Deswegen läuft derzeit in der EU ein Prozess, hier neue Standards zu entwickeln. Möglicherweise kann hier die Studie aus Frankreich wichtige Impulse geben. Diese Kritik geht also weitgehend ins Leere. Auf der anderen Seite ist es auch unstrittig, dass mit der Zahl der Tiere in den Versuchsgruppen und Vergleichsgruppen auch die Aussagekraft der Studien steigen würde.
Die EFSA verlangt bisher in der Regel ohnehin keine Studien mit den gentechnisch veränderten Pflanzen. Manche Firmen machen trotzdem Fütterungsversuche, in der Regel über 90 Tage. Die Zahl der Tiere muss nach OECD-Richtlinien hier mindestens 10 Tiere je Gruppe und Geschlecht betragen.
Bei den Studien, die von der Industrie vorgelegt werden sind es oft relativ wenige Gruppen, die tatsächlich mit gentechnisch verändertem Pflanzen gefüttert werden. Oft sind es, pro Geschlecht, zwei Gruppen mit je 11% und 33% Anteil an GV-Pflanzen im Futter und zwei Gruppen mit Pflanzen, die nicht gentechnisch verändert sind. Dazu kommen, zum Beispiel bei Monsanto, bis zu sechs weitere Gruppen, die mit anderen Futterrationen gefüttert werden. Dadurch bekommt man in den Vergleichsgruppen eine wesentlich größere Datenmenge als bei den Versuchstieren, was die statistische Auswertung fragwürdig macht. Relevante Befunde können im "Rauschen" der Statistik verschluckt werden.
Die Franzosen haben dagegen mehr Versuchsgruppen, aber relativ wenig Vergleichstiere, die mit nicht gentechnisch verändertem Mais gefüttert wurden bzw. keine Pestizide im Trinkwasser hatten. Sie erwähnen aber auch Daten aus anderen Versuchen mit diesen speziellen Rattenlinien, aus denen hervorgeht, wie sich die Ratten „normalerweise“ entwickeln. Die Aussage, die sie treffen ist, dass im Vergleich die Anzahl der kranken Tiere höher war und der Zeitpunkt ihrer Erkrankung früher zu beobachten war, wenn die Tiere mit gentechnisch verändertem Mais gefüttert bzw. mit geringen Dosierungen von Pestiziden getränkt wurden.
ID: Monsanto und nicht an der Studie beteiligte Wissenschaftler führen an, es seien nicht alle Daten veröffentlicht worden, z.B. zu den Leberfunktionstests und zu statistischen Analysen der Sterberaten.
CT: Es ist nicht unbedingt nötig, in einer Publikation alle Daten zu veröffentlichen. Allerdings haben die Gutachter, die die Ergebnisse vor der Veröffentlichung prüfen, Zugang zu allen relevanten Daten. Es ist also davon auszugehen, dass die Daten tatsächlich von unabhängiger Seite geprüft wurden. Das ist bei vielen Daten, die die Industrie vorlegt, nicht der Fall.
ID: Kritisiert wird auch, dass die französischen Forscher den Gentechnik-Mais an Ratten verfüttert hätten, die ohnehin häufig an Krebs erkranken.
CT: Diese Ratten werden auch von der Industrie für Fütterungsstudien verwendet, allerdings sind deren Studien meist kürzer. Entscheidend sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen und der Vergleich mit der Entwicklung der Ratten unter „normalen“ Bedingungen. Wenn in bestimmten Versuchsgruppen mehr Tumore auftreten oder Tumore früher auftreten, kann man daraus sehr wohl wissenschaftliche Aussagen ableiten.
ID: Sind die Ergebnisse der Studie aus Ihrer Sicht also so "wissenschaftlich", dass daraus Konsequenzen gezogen werden sollten?
CT: Grundsätzlich sollten die Ergebnisse jeder Studie kritisch hinterfragt werden und Untersuchungen möglichst auch wiederholt werden. Allerdings muss man Studien, bei denen erhebliche gesundheitliche Auswirkungen beobachtet wurden und die nach den üblichen Standards publiziert wurden, zunächst einmal ernst nehmen. Wenn hier Risiken für Verbraucher deutlich werden, müssen vorsorglich Maßnahmen ergriffen werden.
ID: Was sollte die EU-Kommission, was sollte die Bundesregierung tun?
CT: Man sollte zunächst keine weiteren Zulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen mehr genehmigen. Die Prüfstandards der Europäischen Lebensmittelbehörde sind äußerst umstritten, Langzeitstudien werden nach wie vor nicht verlangt. Diese Fragen müssen geklärt werden. Und die bereits erteilten Zulassungen müssen nach höheren Standards neu bewertet werden. Parallel müssen die gesundheitlichen Risiken von Glyphosat auf den Prüfstand.
Langfristig sollte die Regierung systematisch den Aufbau von unabhängiger Risikoforschung fördern und gegen die bestehenden Interessenkonflikte in den Behörden vorgehen – diese Bereiche wurden in den letzten Jahren zu stark vernachlässigt.
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Dr. Christoph Then ist studierter Tierarzt und befasst sich seit etwa 20 Jahren beruflich mit den Folgen der Gentechnik. Er leitet das Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie, Testbiotech, und ist u.a. Mitglied der Gesellschaft für Ökologische Forschung.
Mehr Informationen zur Studie und zur Risikoprüfung in der EU: