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Haben Sie Unkrautvernichtungsmittel im Körper?

Fast die Hälfte der Bewohner europäischer Großstädte könnte das giftige Spritzmittel Glyphosat im Körper haben. Wissenschaftler des Medizinischen Labors Bremen untersuchten Urinproben von 182 Menschen aus 18 Ländern – bei 44 Prozent wurden sie fündig. In Deutschland wurde das Gift sogar bei sieben von zehn Personen nachgewiesen. Zwar seien weitere Untersuchungen nötig. Man vermute aber, dass das Ackergift hauptsächlich über Lebensmittel, z.B. Brötchen, aufgenommen werde, teilte der Auftraggeber der Studie, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) mit.

Untersucht wurde der Urin von Menschen, die eigenen Angaben zufolge weder beruflich noch privat, beispielsweise im Hausgarten, mit Pflanzenschutzmitteln hantieren. Die Probanden waren zwischen 15 und 65 Jahre alt. Fleischesser und Vegetarier waren vertreten, auch einige Veganer. Am häufigsten wurde das Herbizid Glyphosat, das beispielsweise vom Agrarkonzern Monsanto unter dem Namen „Roundup“ vertrieben wird, im Urin von Maltesern nachgewiesen. Neun von zehn Testpersonen von der Mittelmeerinsel waren betroffen. Deutschland liegt mit 70 Prozent auf dem zweiten Platz, zusammen mit Polen und Großbritannien. Am wenigsten belastet scheinen Bulgaren und Mazedonier zu sein. Dort waren nur 10 Prozent der Proben positiv.

„Es ist erschreckend, dass fast die Hälfte der Bewohner von Großstädten in Europa Glyphosat im Körper hat“, kommentierte BUND-Präsident Hubert Weiger die Testergebnisse. „Dabei ist Glyphosat nicht das einzige Pestizid, dem die Menschen ausgesetzt sind.“ Es nehme jedoch eine zentrale Rolle ein, so der studierte Forstwissenschaftler. In der industrialisierten Landwirtschaft von heute werde es systematisch eingesetzt, um die Kosten zu senken und die Arbeit zu erleichtern. Glyphosat wird häufig noch kurz vor der Getreideernte auf die Pflanzen gesprüht, damit sie zur gleichen Zeit eingebracht werden können. Das Gift lässt sich jedoch nicht einfach herauswaschen. „Am Ende dieser gesamten Entwicklung steht der Mensch“, so Weiger.

Gleichzeitig präsentierte der Chefredakteur von Öko-Test, Jürgen Stellpflug, eine Untersuchung seines Magazins. In Mehl, Haferflocken, Backwaren und Linsen aus deutschen Geschäften und Supermärkten habe man Rückstände des Unkrautvernichtungsmittels festgestellt. „Vor allem waren acht der zehn untersuchten Brötchen belastet, was zeigt, dass Glyphosat die Backtemperaturen übersteht.“ Durch die Aufnahme des Herbizids könne das Risiko von hormonellen Erkrankungen, Krebs und Fruchtbarkeitsproblem steigen. Von offizieller Seite gebe es aber nicht genügend Kontrollen und Langzeituntersuchungen. „Erschreckend ist das Versagen der Behörden, die ausgerechnet bei Glyphosat, dem am häufigsten eingesetzten Pestizid der Welt, kaum Untersuchungen auf derartige Belastungen durchgeführt haben“, kritisierte Stellpflug.

In Deutschland ist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) für Glyphosat zuständig. Deutschland koordiniert außerdem die EU-Prozesse dazu. In der Vergangenheit seien die Grenzwerte für das Gift stark nach oben korrigiert worden, damit es überhaupt weiterhin so massiv eingesetzt werden könne, kritisierte die Heike Moldenhauer vom BUND. Untersucht würde höchstens, wie das Herbizid im Körper wirkt, wenn in kurzer Zeit sehr große Mengen aufgenommen werden. Das sei jedoch völlig lebensfern. Viel wichtiger sei die langfristige Wirkung kleiner Dosen, zum Beispiel aus Nahrungsmitteln. Das werde aber nicht untersucht. Moldenhauer hält die Behörde im Fall Glyphosat für „voreingenommen“. Es brauche einen „frischen Blick auf die Daten.“ Im Klartext: andere Behörden sollen Glyphosat statt dem BfR unter die Lupe nehmen.

Glyphosat ist das weltweit am meisten verkaufte Herbizid. In Deutschland werden circa 5.000 Tonnen pro Jahr verbraucht. Massiv wird es auch auf den Gentechnik-Plantagen Nord- und Südamerikas versprüht. Durch die Genmodifikation sind viele Soja- und Maispflanzen gegen „Roundup“ immun, während die Wildkräuter absterben. „Auf den Einsatz des Pflanzenschutzwirkstoffs Glyphosat vor der Ernte und in Kleingärten muss umgehend verzichtet werden“, forderte auch Bernd Voß, Bauer aus Schleswig-Holstein und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Hier sei nun die Politik gefragt, die dem Gift zuletzt eine längere Genehmigung zugestanden hatten als ursprünglich vorgesehen. „Die Bundesregierung und die EU-Kommission haben noch mal grünes Licht für eine Verlängerung der Zulassung bis 2015 gegeben. Dies ist unverantwortlich“, monierte Voß.

„Dem BUND ist zu danken, dass er mit seiner Untersuchung die Arbeit gemacht hat, die eigentlich Gesundheits- und Lebensmittelbehörden hätten leisten müssen“, kommentierte der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling die vorgelegte Studie. „Was nun folgen muss, ist ein EU-weites Monitoring, um genau festzustellen, auf welchem Weg Glyphosat in unseren Körper gelangt, in welchen Mengen und welche tatsächlichen gesundheitlichen Risiken dabei entstehen. So sollte unter anderem ein wissenschaftlich fundierter Vergleich zwischen Land- und Stadtbewohnern, Fleischessern und Vegetariern, Bio- und Nicht-Bio-Konsumenten angestellt werden.“

Im ökologischen Landbau ist der Einsatz des Herbizids verboten. Im konventionellen Ackerbau ist es hingegen weitverbreitet. In vielen Futtertrögen landet außerdem Gentechnik-Futter aus Südamerika, in dem sich ebenfalls Rückstände des Gifts finden. Um den Verbrauch von Glyphosat zu verringern, könne eine zusätzliche Abgabe helfen, meint Felix Prinz zu Löwenstein, der Vorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Die Pestizidabgabe wäre eine Maßnahme, um mehr Chancengleichheit für Öko-Bauern herzustellen und damit mehr Landwirte ermutigen, den Schritt der Umstellung zu gehen.“ [dh]

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