Statt aus Öl sollen Kosmetika, Kleidung und Treibstoffe künftig aus Biomasse hergestellt werden. Dafür stellt die Bundesregierung 2,4 Milliarden Euro für Wissenschaftler und Unternehmen bereit. Die dahinter liegende Strategie stellten Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) heute in Berlin vor. Allerdings dürften manche der Vorhaben kritisch gesehen werden – so wird auch die Nutzung gentechnisch veränderter Bakterien und komplett künstlicher Zellen finanziert.
Der häufig geäußerten Kritik, die Erzeugung von Sprit und Gas aus Pflanzen führe zur Vermaisung ganzer Landstriche in Deutschland und Hunger in Entwicklungsländern, wollten die Ministerinnen heute den Wind aus den Segeln nehmen. „Die Ernährung und die Produktion von Lebensmitteln muss immer Vorrang haben“, bekräftigte Agrarministerin Aigner. Deswegen sollten vor allem Abfallstoffe eingesetzt werden. Als Beispiel diente ein rotes Kleid, das im Innenhof ihres Ministeriums vorgeführt wurde. Die Textilien bestehen teilweise aus Milchproteinen. Diese würden nur aus Milch gewonnen, die nicht mehr verkauft werden dürfe, erläuterte Aigner. „Wir müssen wegkommen vom Öl und lernen, stärker zu nutzen, was die Natur uns bietet. Die Bioökonomie ist ein Wachstumsmarkt, auf dem sich Deutschland schon jetzt im Spitzenfeld bewegt.“
Da der Sprung von der Grundlagenforschung zu marktreifen Produkten jedoch nicht immer leicht ist, müsse der Staat hier einspringen, erklärte Forschungsministerin Wanka. Ihr Ministerium stellt bis 2016 über eineinhalb Milliarden Euro zur Verfügung – davon sei der größte Teil schon vergeben. Biotechnologie und Gentechnik spielen in der Strategie der Regierung zwar keine „hervorragende Rolle“, wie die Vorsitzende des Bioökonomierats, Christine Lang, mitteilte. Man könne auch mit Naturverfahren vieles erreichen. Ausgeschlossen sind diese Technologien aber nicht. So förderte das Forschungsministerium die Entwicklung von künstlicher Spinnenseide, die beispielsweise in Feuchtigkeitscremes verwendet wird. Die Proteine dafür werden nicht von Spinnen, sondern von gentechnisch veränderten Bakterien erzeugt. Die Herstellerfirma bekam dafür 724.000 Euro.
Wesentlich üppiger fiel die Förderung eines Projekts der Max-Planck-Gesellschaft aus. Sie forscht zur synthetischen Biologie, die von manchen Kritikern als „extreme Gentechnik“ bezeichnet wird. Dabei geht es nicht nur mehr darum, Gene aus einer Spezies, zum Beispiel einem Bakterium, in eine andere Spezies, zum Beispiel eine Pflanze, zu übertragen. Erbgut und Zellen sollen hingegen künstlich hergestellt werden, mittels Computersoftware und speziellen Moleküldruckern. Die Max-Planck-Gesellschaft will nun „eine auf ein Minimum lebensnotwendiger Bestandteile reduzierte, gezielt zur Produktion eines gewünschten Produktes optimierte Zelle“ erschaffen. Ab Januar 2014 läuft das Projekt, Wankas Ministerium stellt dafür 10 Millionen Euro bereit.
Beraten wird die Bundesregierung bei ihren Überlegungen zur künftigen Rohstoffgewinnung vom Bioökonomierat. Das Gremium wurde eigens dafür gegründet und hat 18 Mitglieder. Jeweils sechs aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – Vertreter von Umwelt- oder Entwicklungsorganisationen sucht man darunter allerdings vergebens. Stattdessen durften die Unternehmen Dow und KWS Saat Mitarbeiter entsenden. Beide Firmen stellen unter anderem gentechnisch veränderte Pflanzen her und verdienen hunderte von Millionen Dollar mit dem Verkauf von Saatgut. Lang, die Vorsitzende des Rats, ist Geschäftsführerin der Firma Organobalance, die Hefestämme für die Lebensmittel-, Pharma- und Chemieindustrie produziert.
Unklar ist auch, ob Abfälle und Pflanzenreste ausreichen, um einer expandierenden Bioökonomie-Branche genügend Rohstoffe zu liefern. Ein wichtiger Ausgangsstoff ist beispielsweise Lignin, das in Holz enthalten ist. In Bioraffinerien wird es von den anderen Holzbestandteilen getrennt und dann weiterverarbeitet, unter anderem zu Biokunststoff. Um mehr Lignin gewinnen zu können, forschen manche Wissenschaftler an gentechnisch veränderten Bäumen, deren Holz anders zusammengesetzt ist. Freilandversuche mit Gentech-Pappeln haben schon in verschiedenen europäischen Ländern stattgefunden. Kritiker sehen darin ein unnötiges Risiko. „Der Anbau transgener Bäume ist keine geeignete Lösung, um schnell Biomasse zu generieren. Die langfristigen Folgen für Natur und Umwelt sind unabsehbar“, warnte der Naturschutzbund Deutschland (Nabu).
In einem Papier des Forschungsministeriums zur Bioökonomie heißt es hingegen, die „verantwortungsvolle Nutzung der Gentechnik“ und die „Züchtung von Kulturpflanzen, u.a. mittels moderner Methoden der Pflanzenbiotechnologie“ seien „von großer Bedeutung.“ Gestern kündigte bereits die EU-Kommission an, bis 2020 eine Milliarde Euro für „bio-basierte“ Industrieprojekte zur Verfügung zu stellen. [dh]