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Schlecht beraten: Brasilianische Landwirte und die Gentechnik

Zehn Jahre Gentechnik-Anbau haben Brasilien vor allem Probleme beschert. Dieses Fazit zog Professor Antonio Andrioli gestern bei einem Vortrag in Berlin. Trotzdem hielten viele seiner Kollegen an der Technologie fest, kritisierte der Wissenschaftler der Universität Fronteira Sul. Dabei böten agrarökologische Methoden wesentlich mehr Chancen.

Keine gesteigerten Erträge, dafür ein Anstieg der Saatgutpreise um 246 Prozent und höherer Pestizidverbrauch – die Bilanz der Agro-Gentechnik in Brasilien fällt aus Sicht von Andrioli negativ aus. Der Agrartechniker, Sozialwissenschaftler und Vizerektor der Bundesuniversität Fronteira Sul (UFFS) berichtete vor knapp 80 Zuhörern in der Heinrich-Böll-Stiftung. Über fünf Liter Spritzmittel würden pro Einwohner des Landes jährlich auf den Feldern ausgebracht – ungefähr zehnmal so viel wie in Deutschland (im Verhältnis zur Fläche sei es allerdings weniger).

Vor allem auf den 37 Millionen Hektar, auf denen gentechnisch veränderte Pflanzen - überwiegend Soja und Mais – angebaut werden, wird viel gespritzt. Die Pflanzen sind aufgrund eines eingebauten Gens resistent gegen die Herbizide. 2004, als eine glyphosatresistente Sojapflanze des US-Konzerns Monsanto in Brasilien zugelassen wurde, seien auch gleich die Grenzwerte für Rückstände der Chemikalie um das 50-fache herauf gesetzt worden, so Andrioli. Der erlaubte Höchstwert liege nun bei 10 Milligramm pro Kilogramm Soja – in den Bohnen, die nach Europa exportiert werden und dort in den Viehtrögen landen, seien aber schon bis zu 33 Milligramm des Gifts nachgewiesen worden.

Auch Gentechnik-Pflanzen, die ein Insektengift zur Abwehr von Schädlingen produzieren, hätten die Lage letztlich nicht verbessert. Denn die Insekten passten sich an oder es traten Neue auf, die auf den Gentechnik-Plantagen keine Fressfeinde mehr hatten. Zuletzt rief das Agrarministerium den Notstand in einigen Regionen aus, die neuerdings von den Raupen der Baumwollkapseleule heimgesucht werden. Umgerechnet 800 Millionen Euro Verluste hätten die Insekten schon verursacht, so Andrioli.

Außerdem gebe es Probleme mit der Stickstoffbindung und der Eiweißbildung, weil die förderlichen Knöllchenbakterien an den Wurzeln der Pflanzen durch die Herbizidbelastung des Bodens beeinträchtigt sein. Für Andrioli, der als Mitglied der Biosicherheitskommission des Landes Zugang zu Industrie-Daten hat, steht außer Frage, dass sich am Anbau etwas ändern muss. Doch seine Kollegen in der Kommission, die für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen verantwortlich ist, setzten weiterhin auf die einfachste Antwort: mit neuen Gentechnik-Pflanzen könne man die Probleme in den Griff bekommen. Andrioli wirft einigen von ihnen Interessenkonflikte vor, unter anderem dem Vorsitzenden, der selbst Gutachten im Auftrag von Monsanto durchgeführt habe. Von dem US-Konzern stammten 90 Prozent der Gentechnik-Sorten, die im Land vermarktet werden.

Andrioli beobachtet seit einigen Jahren gegenläufige Entwicklungen: in der Mitte und im Norden hätten Großbauern erkannt, dass die Gentechnik ihnen keine Vorteile bringt. Deshalb bauen sie, beispielsweise im Bundesstaat Mato Grosso, gentechnikfreie Soja an und verkaufen diese nach Europa. Dafür können sie höhere Preise verlangen, denn immer mehr Produzenten und Supermarktketten in Europa springen auf den Zug auf, um den Verbrauchern tierische Erzeugnisse aus gentechnikfreier Fütterung anbieten zu können. Im Süden Brasiliens wachsen hingegen zu 90 Prozent gentechnisch veränderte Soja- und Maispflanzen.

Doch warum halten die Landwirte, oft kleine Betriebe, trotz der Probleme daran fest? Aus Mangel an Alternativen, glaubt Andrioli. Denn im Süden des riesigen Landes sei kein gentechnikfreies Saatgut auf dem Markt erhältlich. Gleichzeitig rieten die einflussreichen Bauerngenossenschaften ihren Mitgliedern zu den „modernen Methoden“ Gentechnik und Pestizide. Vor Ort seien diese für den Vertrieb zuständig, Konzerne wie Monsanto träten gar nicht in Erscheinung. Doch die Genossenschaften hätten keineswegs nur die Interessen ihrer Landwirte im Blick – denn ihre Vorsitzenden erhielten fünf bis 15 Prozent der Erlöse, die Monsanto mit den Lizenzgebühren seiner patentierten Pflanzen erziele.

Um den Kleinbauern, die in den südlichen Bundesstaaten fernab von höheren Bildungseinrichtungen ihre Felder bestellen, andere Wege zeigen zu können, wurde 2009 die Bundesuniversität Fronteira Sul eröffnet. Sie soll Studenten aus armen Familien, oft Schwarze oder Indios, eine Ausbildung in agrarökologischen Methoden ermöglichen. Aber auch Medizin, Ernährungs- oder Sprachwissenschaften können belegt werden. Finanziert wird die Uni laut Vizerektor Andrioli allein aus öffentlichen Mitteln. Ihre Professoren dürften keine Drittmittel, beispielsweise von Industrieunternehmen, annehmen. Und auch wenn noch alles im Aufbau sei, verfüge die UFFS bereits über modernste Labore. Dort soll auch künftig zu den Auswirkungen der Gentechnik-Pflanzen geforscht werden. [dh]

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