Als der französische Biologe Gilles-Eric Séralini letztes Jahr eine Studie zu den Gesundheitsrisiken von Gentechnik-Mais vorstellte, berichteten Medien von taz bis Tagesschau. Aktuell macht die Untersuchung wieder Schlagzeilen, weil das Fachjournal Food and Chemical Toxicology sie zurückgezogen hat – unter Verweis auf Schwächen im Studiendesign. Nun veröffentlichte ein anderes Journal eine Analyse, wonach die Kritik an Séralini genauso für andere Studien zum transgenen Mais NK603 gelten müsste. Auf diesen beruht die Zulassung der Monsanto-Pflanze als Futter- und Lebensmittel in der EU.
Die Fachzeitschrift Environmental Sciences Europe, die vom Wissenschaftsverlag Springer (nicht zu verwechseln mit der Axel Springer AG) herausgegeben wird, veröffentlichte die Analyse am 01. Dezember - inmitten der erneut entbrannten Debatte um die Séralini-Studie. Eingereicht worden war sie schon im August, Mitte November nahm das Journal sie nach einem Peer-Review-Prozess an. Das Fazit der beiden Autoren: es gebe ernsthafte Doppelstandards in der Bewertung von Studien, die sich mit der Sicherheit von Gentechnik-Pflanzen beschäftigen.
Angelika Hilbeck vom Institut für Integrative Biologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und Hartmut Meyer vom Wissenschaftlernetzwerk ENSSER (European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility) verglichen die Séralini-Studie mit zwei anderen Untersuchungen des Mais NK603. Das Ergebnis: die Studien sind ähnlich aufgebaut – und verstoßen in gleichem Maße gegen die Kriterien, die die EU-Lebensmittelbehörde EFSA offiziell fordert. Doch während die Behörde Séralinis Untersuchung zurückwies, akzeptierte sie die anderen beiden – und bescheinigte dem Gentechnik-Mais von Monsanto, genauso sicher zu sein wie andere Maissorten. Damit war der Weg für den Import in die EU geebnet.
Ein Hauptkritikpunkt an Séralini ist unter anderem, dass der Gentechnik-Mais an die Rattenart „Sprague Dawley“ verfüttert wurde – die zur Tumorbildung neigt. Deshalb seien höhere Krebsraten nicht unbedingt auf das Futter zurück zu führen. Auch der Chefredakteur des Journals Food and Chemical Toxicology hatte den Rückzug von Séralinis Arbeit damit begründet. Doch Hilbeck und Meyer verweisen darauf, dass auch die hauseigene Monsanto-Studie sowie diejenige von Bruce Hammond, der für Monsanto arbeitet, auf Sprague Dawley zurückgreifen. Hammonds Untersuchung war 2004 ebenfalls in Food and Chemical Toxicology erschienen.
Laut Hilbeck und Meyer gab es in den letzten beiden Jahrzehnten 21 Langzeit-Studien mit Sprague Dawley-Ratten – alle hätten einen Peer-Review-Prozess durchlaufen. Doch fast keine davon hätte die Bedingungen erfüllt, die die EFSA an Séralinis Untersuchung stellte. Auch bei einem weiteren Kritikpunkt seien die Unterschiede zwischen Séralini und Monsanto nicht groß. Dem Franzosen wird vorgeworfen, nur je zehn weibliche und männliche Ratten pro Fütterungsgruppe verwendet zu haben. Dadurch sei die Aussagekraft zu gering. Monsanto hatte laut Hilbeck und Meyer zwar 20 Ratten beiderlei Geschlechts pro Gruppe – doch für die Messung von Blut- und Urinwerten hätten die Konzernwissenschaftler ebenfalls nur zehn Tiere herangezogen. Wie diese ausgesucht wurden, werde nicht näher erläutert. Hilbeck und Meyer stellen außerdem weitere Übereinstimmungen im Aufbau der NK603-Studien fest.
Angesichts der Gemeinsamkeiten wundern sich die Autoren, warum nur die Séralini-Studie so kritisch geprüft wurde. Sie sprechen von „Doppelstandards“ und fordern Änderungen im EU-Zulassungssystem. Es passe vor allem nicht zusammen, dass hier Methoden zum Einsatz kämen, die für das anders aufgebaute Zulassungsprozedere entwickelt wurden, das Gentechnik-Pflanzen in den USA durchlaufen müssten. [dh]