Seit gestern ist ein Teil des Vertragstexts des Freihandelsabkommens zwischen EU und Kanada (CETA) öffentlich, das als Blaupause für das Abkommen mit den USA (TTIP) gilt. Nicht Brüssel oder Ottawa stellten das 500 Seiten starke Dokument ins Netz, sondern die Tagesschau. Enthalten sind auch Passagen zur Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen.
Als „gemeinsames Ziel“ wurde dabei beispielsweise vereinbart, bei der Regulierung zusammen zu arbeiten, um „negative Auswirkungen auf den Handel“ zu minimieren. Auch bei Schwellenwerten für Gentechnik-Verunreinigungen will man „international kooperieren“ - die Agrarindustrie fordert schon seit längerem, die in der EU derzeit geltende Nulltoleranz gegenüber nicht-zugelassenen Gentechnik-Pflanzen in Lebensmitteln und Saatgut aufzuweichen.
„Die Parteien sind sich einig, dass Kooperation und Informationsaustausch zu Themen der Biotechnologie von beiderseitigem Interesse sind“, heißt es auf Seite 449 des Vertragstexts, der noch von den EU-Staaten abgesegnet werden muss. Der Austausch werde in einem Dialoggremium stattfinden, das beide Seiten 2009 nach einem Streit vor der Welthandelsorganisation eingerichtet haben. Zu den Punkten, die dort behandelt werden sollen, zählen unter anderem die Zulassung von biotechnologischen Produkten, Auswirkungen auf den Handel durch „asynchrone Zulassungen“ oder zufällige Freisetzungen nicht-genehmigter Produkte, die künftige Gesetzgebung in diesem Bereich sowie mögliche Handelsbarrieren durch politische Regulierung, „inklusive Maßnahmen von EU-Mitgliedstaaten“ - vermutlich eine Anspielung auf die geplante Änderung der EU-Gentechnikrichtlinie, die nationale Verbote mittels „Opt-Out“ erleichtern soll.
Zudem werden „gemeinsame Ziele“ der Kooperation festgelegt. Dazu gehört der Austausch von Informationen politischer, technischer und regulatorischer Art, „insbesondere“ über die Risikobewertung gentechnisch veränderter Organismen. Außerdem will man sich gemeinsam für „effiziente wissenschaftsbasierte Zulassungsprozesse“ für Biotechnologie-Produkte einsetzen – eine Formulierung, die die Lobbyisten der Gentechnik-Konzerne freuen dürfte. Diese beklagen, die EU-Zulassung dauere zu lange und sei zu aufwändig. Auch bei „low level presence“ will man kooperieren, also dem Auftreten von Gentechnik-Spuren in Produkten, wo sie nicht hingehören.
Die EU schreibt derzeit vor, dass nicht-zugelassene Organismen nicht - auch nicht in kleinen Mengen - in Lebensmitteln oder Saatgut enthalten sein dürfen. In Nordamerika sieht man das anders, auch Agrarhandelskonzerne fordern eine Lockerung. Kanada drängt ebenfalls, weil viele landwirtschaftliche Güter exportiert werden – ein Problem, wenn auf über 10 Millionen Hektar Gentechnik angebaut wird, die Zielländer aber nicht alle transgenen Sorten akzeptieren.
Erst im März hatten Umwelt- und Verbraucherorganisationen aus vielen Ländern gemahnt, der Schutz vor Gentech-Risiken sei wichtiger als wirtschaftliche Erwägungen. Die Nulltoleranz sei Sache souveräner Gesetzgebung und dürfe nicht durch Handelsabkommen aufgeweicht werden. „Die Exportstaaten sollten das respektieren und Wege finden, sich an die Gesetze der importierenden Länder zu halten, anstatt auf Schwellenwerte für Verunreinigungen zu pochen“, schrieben sie an die Teilnehmer einer Konferenz der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO.
Neben den Passagen zur Gentechnik dürfte der CETA-Text noch viele weitere strittige Kapitel enthalten. Die kanadische NGO „Council of Canadians“ hat laut Deutschem Naturschutzring bereits gewarnt, die gezielte Unterstützung der lokalen Landwirtschaft und Produktion durch eine „Buy Local“-Vorgabe öffentlicher Einrichtungen könne wegfallen – zur Freude europäischer Lebensmittel- und Industriekonzerne. [dh]