In Brüssel haben sich Vertreter der nationalen Regierungen und des EU-Parlaments gestern auf einen Kompromiss zum sogenannten Opt-Out verständigt. Je nach politischer Couleur fallen die Reaktionen unterschiedlich aus: „ein historischer Moment“, meint eine Konservative. „Diese Einigung verhindert das Schlimmste“, sagt ein Grüner. Die Beteiligung von Konzernen am Verfahren, das zu einem Verbot von Gentechnik-Anbau führen kann, wird nicht komplett gestrichen – sie soll aber auch vermieden werden können.
Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten, über den in den letzten Wochen in Brüssel verhandelt wurde, wurde zumindest etwas entschärft. Er hatte vorgesehen, dass diejenigen, die eine Anbaugenehmigung für eine Gentechnik-Pflanze haben wollen – meist Konzerne wie Monsanto, Bayer oder Syngenta – zunächst gefragt werden müssen, ob sie auch freiwillig auf den Anbau in einem bestimmten Land verzichten würden. Nur falls die Konzerne das ablehnen, sollte ein Verbot möglich sein.
Das empörte NGOs, stieß aber auch im Umweltausschuss des EU-Parlaments auf Skepsis. Im nun erzielten Kompromiss sind die Konzerne zwar nicht komplett gestrichen worden. Die Regierungen sollen von ihnen Verzicht verlangen dürfen – was die Unternehmen akzeptieren oder zurückweisen können. Doch diese erste Phase soll nicht mehr zwingende Voraussetzung dafür sein, dass ein Staat den Anbau einer oder mehrerer Gentechnik-Pflanzen verbieten darf. „Vordergründig mehr Flexibilität“ für die nationalen Regierungen, sieht der Grünen-Europaparlamentarier Martin Häusling darin. „Sie werden nun aufgefordert die Industrie zu kontaktieren, werden dazu aber nicht ausdrücklich verpflichtet. Jetzt wird es darauf ankommen, wie die dahinter stehende schwammige Formulierung in der Praxis interpretiert wird.“
Positiv ist aus Sicht von Umweltschützern, dass Verbote während der gesamten Laufzeit einer Anbaugenehmigung möglich sein soll - diese beträgt zehn Jahre. Ursprünglich sollte ein Verbot nur in den ersten zwei Jahren ausgesprochen werden dürfen.
Andere Forderungen von Umweltpolitikern und Zivilgesellschaft wurden hingegen nicht erfüllt. So sollen die Anbauverbote auch weiterhin auf dem Binnenmarktrecht der EU basieren, nicht auf dem Umweltrecht, wie es auch die liberale Verhandlungsführerin des EU-Parlaments, Frédérique Ries aus Belgien, vorgeschlagen hatte. Aus ihrer Sicht wären die Verbote dadurch rechtlich stabiler geworden, weil sie meist auf den Schutz der Umwelt, nicht auf den Schutz des freien Handels zielen. Doch der EU-Ministerrat, darunter Vertreter der Bundesregierung, lehnten das ab. „Der Ministerrat hat sich – auch auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel – gegen entscheidende Stellen des Parlamentsentwurfs und gegen einen konsequenten Schutz der gentechnikfreien Land- und Lebensmittelwirtschaft gestellt“, kritisiert Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Zudem sind die Gründe, die eine Regierung für ein Anbauverbot heranziehen kann, nicht so konkret formuliert, wie sich Umweltschützer das gewünscht hätten. „Die Rechtsbasis für die Gentechnik-Anbauverbote bleibt brüchig, denn eine dezidierte Liste von sicheren Verbotsgründen ist nun nicht mehr vorgesehen“, warnt Janßen. „Dies ist ein Einfallstor für Konzernklagen, wenn ein Mitgliedsstaat den Anbau verbieten will.“ Die Länder würden mit „mit vagen Formulierungen in rechtlicher Unsicherheit gelassen“, kritisiert auch der Grüne Häusling. Insgesamt zieht er ein durchwachsenes Fazit: „Diese Einigung verhindert das Schlimmste. Die völlig unakzeptablen Vorschläge der nationalen Regierungen wurden verbessert. Aber ein Erfolg ist der erzielte Deal absolut nicht. In Europa wird es einen gentechnischen Flickenteppich geben.“
Anders die österreichische EVP-Abgeordnete Elisabeth Köstinger, die versichert, das sei „ein historischer Moment“. „Unser wichtigstes Ziel war es, das nationalen GVO-Anbauverbot so wasserdicht zu gestalten, dass kein Gentechnikkonzern sie mit einer Klage aushebeln kann." Der österreichische Verzicht auf Gentechnik sei damit gesichert.
Gegen den Plan, Gentechnik-Konzerne an der Entscheidung über Verbote zu beteiligen, hatte es in Deutschland viel Widerspruch gegeben. Innerhalb von nur einer Woche unterzeichneten über 250.000 Bürger einen Appell an Agrarminister Christian Schmidt, sich in Brüssel gegen dieses Vorhaben einzusetzen. Wirklich eingelenkt haben die Minister, darunter auch der CSU-Politiker, aber nicht. Immerhin sei es ein Fortschritt, meint Benny Haerlin von Save Our Seeds, dass sie nun nicht mehr verpflichtend konsultiert werden müssen.
Der Kompromiss muss im Januar vom EU-Parlament bestätigt werden. Danach sollen die 28 Mitgliedstaaten die neue Regelung unverzüglich nutzen können. Wie der Infodienst von Insidern erfuhr, will die EU-Kommission noch abwarten, bis neue Gentechnik-Pflanzen zum Anbau zugelassen werden. Der erste Test für den Opt-Out-Mechanismus dürfte dann der insektengift-produzierende Mais 1507 werden. Der GVO der US-Chemieunternehmen Dow und Dupont könnte der zweite Gentechnik-Mais werden, der in der EU angebaut werden darf. [dh]
+++UPDATE+++ Der EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis begrüßte den Kompromiss. Er geht davon aus, dass der Opt-Out-Mechanismus „ab Frühjahr 2015“ nutzen können.