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Wer vertraut den Behörden bei Ackergiften?

In der EU wird zurzeit darüber beraten, ob die Nummer eins unter den Unkrautvernichtungsmitteln – Glyphosat – auch weiterhin verkauft werden darf. Dabei kommt es maßgeblich auf die Empfehlungen deutscher Behörden an. Doch viele NGOs misstrauen ihnen. Das wurde auf einer Tagung in Berlin vergangene Woche wieder deutlich. Ihr Urteil beruhe zu sehr auf Industrie-Daten, so die Kritik.

Ein Bericht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) wird Grundlage der Entscheidung über eine verlängerte Zulassung von glyphosat-haltigen Spritzmitteln sein. Doch welche wissenschaftlichen Untersuchungen sind darin eingeflossen? Vor allem diejenigen der Industrie selbst, meint Claire Robinson von der britischen Organisation Earth Open Souce. Unabhängige Studien seien disqualifiziert worden - und das auf „sehr unwissenschaftliche“ Weise. Als Messlatte für „gute Wissenschaft“ dienten Kriterien, die in den 1990er Jahren von Mitarbeitern des Chemiekonzerns BASF entwickelt worden seien. Doch diese Standards seien umstritten und begünstigten Industrie-Forschung.

Zudem konzentriere man sich in den Behörden auf den reinen Wirkstoff Glyphosat, auf dem Acker landen jedoch Gemische – die Endprodukte tragen Markennamen wie „Roundup“ - die besonders besorgniserregende Beistoffe enthalten, zum Beispiel Netzmittel. Mit dieser Kritik sind die NGOs nicht alleine. Auch ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes (UBA) mahnte, die zugesetzten Stoffe müssten in der Debatte eine größere Rolle spielen. Es lägen Hinweise auf Toxizität und Auswirkungen auf das Hormonsystem vor, so Steffen Matezki.

Die unmittelbaren Risiken des Wirkstoffs Glyphosat selbst hält er zwar für vertretbar. Allerdings müssten in der Risikobewertung auch indirekte Auswirkungen des Herbizideinsatzes Beachtung finden, so der UBA-Mitarbeiter. Denn durch das Spritzen nehme das Nahrungsangebot auf dem Acker ab, wodurch die Artenvielfalt bedroht werde, zum Beispiel bei Vögeln. Sie finden weniger zu fressen. Dem pflichtete Gesine Schütte von der Universität Hamburg bei. Je mehr Beikräuter wüchsen, desto mehr Nützlinge gebe es auch. Unter anderem bei Käfern sei aufgrund der Herbizide ein Rückgang zu beobachten.

Doch schaffen es solche Erkenntnisse oder Hinweise auf direkte Gesundheitsrisiken in die offizielle Bestandsaufnahme? Kaum, meint Tony Tweedale, Gründer der Beratungsfirma R.I.S.K. Consultancy aus den USA. Er hat untersucht, welche veröffentlichten Studien zur Toxizität von Glyphosat, die ein ordnungsgemäßes Peer-Review durchlaufen haben, in die Risikobewertung eingeflossen sind. Es seien nur circa 65 Prozent. „Die Industrie kontrolliert die Daten vollständig“, so sein Fazit.

Schützenhilfe erhielten die Behörden hingegen von Thoralf Küchler. Er arbeitet für den Schweizer Gentechnik- und Pestizidkonzern Syngenta. Er mahnte zur „Sachlichkeit“. Die Industrie könne aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht alle Forschungsergebnisse veröffentlichen: einen neuen Wirkstoff zu entwickeln dauere zehn Jahre und koste 250 Millionen Euro. Die Daten könne man daher nicht einfach der Konkurrenz preisgeben. Die Behörden hätten aber umfassenden Einblick. Bei Glyphosat hätten die deutschen Ämter vorbildlich gearbeitet und alle relevanten Akteure zu einer Anhörung eingeladen. Dort sei zwei Stunden intensiv debattiert worden. Ganz anders sah das Wolfgang Bödeker vom Pestizidaktionsnetzwerk (PAN): echte Transparenz sei nicht dadurch zu erreichen, in so kurzer Zeit über Zehntausende Seiten von Analysen zu sprechen.

Der Mathematiker und Naturwissenschaftler hat sich speziell die Behördenberichte zu akuten Vergiftungen mit Herbiziden angesehen, die die Folge von Arbeitsunfällen in der Landwirtschaft sein können. Doch die Daten seien oft veraltet - und stammten teilweise vom Glyphosat-Hersteller Monsanto. Außerdem unterscheide das Vergiftungsregister nicht zwischen den verschiedenen Herbiziden. Nur 2007 sei eine Ausnahme gemacht worden. Damals sei die Zahl der Vergiftungen mit Glyphosat in Deutschland seit 1990 mit 60 angegeben worden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung habe jedenfalls selbst geschrieben, es müsse deutlicher vor „ernsten Lungenschäden“ durch Kontakt mit Sprühnebeln gewarnt werden.

Das kommt vor dem Kauf aber anscheinend zu kurz. So teilte der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland letzte Woche mit, bei Testkäufen in Garten- und Baumärkten in Berlin und Potsdam sei oft nicht umfassend beraten worden. „Nur in wenigen Märkten wird auf Gesundheitsrisiken hingewiesen und in den meisten nicht auf erforderliche Schutzmaßnahmen“, erklärte BUND-Mitarbeiter Tomas Brückmann in einer Mitteilung. Und obwohl Glyphosat nicht auf versiegelten Flächen ausgebracht werden dürfe, da es Wasserorganismen schädigen könne, sei es auch dafür „mehrfach“ empfohlen worden. „Das ist ein ernster Gesetzesverstoß“, so Brückmann.

Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Herbizidwirkstoff. In Deutschland wurden 2012 laut Umweltbundesamt knapp 6.000 Tonnen verkauft, das mache ein Drittel der Gesamtmenge aus. Eine Reduktion um 1.000 Tonnen pro Jahr sei machbar. Nach Ansicht des Landwirts Peter Hamel, der sich in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft engagiert, ist das Mittel einfach zu billig. Nur acht Euro koste der Einsatz pro Hektar. Er forderte auf der Tagung eine Umweltabgabe auf den Wirkstoff, zudem müsse die routinemäßige Säuberung des Felds vor der Aussaat und die Vorerntebehandlung des Getreides mit Glyphosat verboten werden. Denn das Spritzen schädige nicht nur nützliche Mikroorganismen. Es binde auch wichtige Nährstoffe, wodurch es bei den Pflanzen dann zu Mangelerscheinungen - und letztlich zu weniger Ertrag – komme.

Wie geht es also weiter mit Glyphosat? Vielleicht lohnt ein Blick zurück. Auch früher verwendete Chemikalien wie DDT oder Atrazin hätten einst als „harmlos“ gegolten, bemerkte Christine Chemnitz von der Heinrich-Böll-Stiftung, in deren Räumen die Tagung stattfand. Dann seien sie aber aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus dem Verkehr gezogen worden. [dh]

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