Ähnlich wie in der EU, wird auch in Kanada über eine Aufhebung der Nulltoleranz von nicht zugelassenen Gentechnik-Organismen in importierten Futter- und Lebensmitteln diskutiert. Die Industrie hofft, dass andere Länder mitziehen. Die Vermarktung ihrer Gentech-Pflanzen wäre dann leichter.
Während in der Europäischen Union Pläne zur Lockerung der Nulltoleranz auf Widerstand einiger Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, treffen, könnte die Zentralregierung Kanadas eine solche Reform zur „Low Level Presence“ (LLP, dt.: Präsenz niedriger Mengen) einfacher beschließen. In der Debatte werden Grenzwerte von 0,1 Prozent und mehr genannt. Einzige Bedingung wäre dann eine bereits erfolge Zulassung der Gentech-Organismen in anderen Staaten – nach Kriterien, die Kanada akzeptiert. Saatgut soll vorerst ausgenommen bleiben.
Zwar warnen Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen vor unkalkulierbaren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Doch die Regierung erklärt, Verunreinigungen mit nicht zugelassener Gentechnik seien unvermeidbar, da der Anbau solcher Pflanzen global immer weiter zunimmt. Dabei zeigen jüngste Zahlen aus Deutschland, dass Kontaminationen von Importen relativ selten vorkommen – und eine Beibehaltung der Nulltoleranz durchaus realistisch ist.
Einiges spricht deshalb für andere Gründe, die die Regierung zu diesem Schritt bewogen haben könnten. Kanada gehört zu den größten Anbauländern von Gentechnikpflanzen der Welt. Die Agrarindustrie verdient große Summen mit der Technologie, auch mit dem Export von gentechnisch veränderten Pflanzen und Produkten. Sie fürchtet, dass die Nulltoleranz-Regelung in Drittländern, z.B. in den EU-Staaten, zur Behinderung ihrer Warenströme führen könnte. Von einer Aufweichung der Nulltoleranz in Kanada erhofft sie sich daher zunehmenden Druck auf andere Regierungen: „Aus Sicht der Industrie könnte Kanada als ein Modell zur Beeinflussung anderer Länder mit handelsbegrenzenden LLP-Vorschriften dienen, indem es alternative, nationale LLP-Vorschriften einführt“, heißt es in einer Präsentation einer kanadischen Landwirtschaftsbehörde.
Die kanadische Regierung wird im Interesse der Industrie wohl weiter auf ein Ende der Nulltoleranz in anderen Staaten drängen – auch und besonders in der EU, wo die Kontroverse im Herbst in die nächste Runde gehen dürfte. Verbraucherkommissar John Dalli möchte das Thema dann weiter voran treiben. Und dann wird auch Kanada seine Reformpläne bei der Welthandelsorganisation WHO vorstellen.