Dass „natürliche“ Aromen in Joghurts oder Süßigkeiten aus dem Chemie-Labor kommen, überrascht heute wohl die wenigsten Verbraucher. Und auch die gentechnische Herstellung von Zusatzstoffen ist in der Lebensmittel-Industrie weit verbreitet. Anhand der Verpackungsangaben kann nicht festgestellt werden, ob genmodifizierte Mikroorganismen beim Produktionsprozess mitgewirkt haben. Doch nun steht offenbar ein neuer Schritt bevor: Hefekulturen mit künstlicher, am Computer errechneter DNA könnten Vanillearomen erzeugen. Die kommen in fast allen Schokoladen, Softdrinks oder Eiscremes vor. Die Umweltorganisation Friends of the Earth warnt vor unbekannten Folgen für Umwelt und Gesundheit – und dem Ruin von Vanillebauern in Entwicklungsländern.
Entwickelt wurden die neuartigen Gentechnik-Hefen von der Schweizer Biotechnologie-Firma Evolva. Zusammen mit dem auf Geschmacks- und Geruchsstoffe spezialisierten Unternehmen International Flavors and Fragrances (IFF) soll das von ihnen hergestellte Vanillin ab 2014 vermarktet werden. Damit wollen die Partner den weltweiten Vanille-Markt erobern, den Evolva auf 600 Millionen Dollar pro Jahr schätzt. Das von der gentechnisch veränderten, mit neuartiger DNA ausgestatteten Hefe fermentierte Vanille-Aroma preisen die Unternehmen als „natürlich“.
Genau darin sieht die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth ein Problem. Das Evolva-Vanillin sei alles andere als natürlich. Es unterscheide sich von zurzeit dominierenden Labor-Aromen, die chemisch gewonnen werden. Es komme noch nicht einmal von „klassischen“ Gentechnik-Bakterien, denen Gene anderer Organismen eingebaut wurden. Stattdessen würde hier nie dagewesene, künstlich erzeugte DNA-Sequenzen eingesetzt. Deren Design mittels Computersoftware wird als synthetische Biologie bezeichnet – Kritiker sprechen von „extremer Gentechnik“. Es sei völlig unklar, so Friends of the Earth, ob von diesen Superhefen Risiken für Ökosysteme oder auch die menschliche Gesundheit ausgehen.
Außerdem hält Friends of the Earth die Fermentation von Vanillin nicht für umweltverträglich. Als Ausgangsstoff für die Herstellung benötigt die Gentechnik-Hefe sehr viel Zucker. Dies begünstige den Anbau von Zuckerrohr in Monokulturen – auf Flächen, auf denen vorher Regenwald wuchs. Für die rund 200.000 Vanillebauern in Madagaskar, Mexiko und Südostasien, die von dem Anbau der Pflanzen leben und daher ein Interesse am Erhalt einer intakten Umwelt hätten, könne die Industrieproduktion hingegen den Ruin bedeuten. Friends of the Earth ruft deswegen dazu auf, das gentechnisch hergestellte Vanillin nicht zu nutzen. Als Erstes startete die Organisation einen entsprechenden Aufruf an große Eiscreme-Hersteller wie Häagen-Dazs.
Evolva sieht in seinen Gentechnik-Hefen hingegen einen „Meilenstein auf dem Weg zu einer 'grünen Chemie'.“ Die Firma verspricht sich gute Geschäfte. Im Fachmagazin Laborwelt schrieben Evolva-Wissenschaftler vor zwei Jahren: „Die synthetische Biologe, wie wir sie anwenden, bietet die Möglichkeit der Pharma-, Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie eine der klassischen chemischen Synthese nicht zugängliche, neuartige Chemie zur Verfügung zu stellen.“ Die Anwendungsmöglichkeiten für die „universelle chemische Mikrofabrik“ scheinen unbegrenzt. Etwaige Risiken werden in dem Artikel nicht erwähnt. [dh]