Argentinien, Paraguay und Bolivien haben unter anderem dies gemeinsam: in allen drei südamerikanischen Ländern wird Soja für den Export nach Europa angebaut. Über 90 Prozent davon ist gentechnisch verändert und kann deshalb massiv mit Herbiziden besprüht werden. Während Großgrundbesitzer, Agrarkonzerne und Rohstoffhändler gute Geschäfte machen, bleibt für die lokale Bevölkerung wenig – zahlreiche Kleinbauern wurden von ihrem Land vertrieben, viele machen die Chemikalienbelastung der Felder für steigende Krankheitsraten verantwortlich. In Berlin berichteten zwei Aktivisten und ein Journalist von ihrem Kampf gegen die Soja-„Riesen“.
In Argentinien ist die Sache klar: die Zeichen stehen voll auf Industrialisierung der Landwirtschaft. 1996 wurde gentechnisch veränderte Soja zugelassen, heute machen die transgenen Sorten von Agrarkonzernen wie Monsanto und Dupont quasi 100 Prozent der Produktion aus. Von den Bohnen, die als Schrot an europäische Kühe, Schweine und Hühner verfüttert werden, kommt ein großer Teil aus dem Land der Gauchos. Zwischen 15 und 20 Millionen Hektar nehmen die Soja-Plantagen in Beschlag. Bürgerinitiativen dokumentieren immer mehr Krebserkrankungen und Missgeburten in ihren Nachbarschaften – und machen die Gentechnik-Farmer verantwortlich, die massig Spritzmittel auf die nahe gelegenen Felder sprühen.
Apropos Gauchos: auch die traditionellen Viehtreiber sind von Arbeitslosigkeit bedroht. Denn das weltberühmte argentinische Rindersteak kommt immer seltener von weidenden Tieren. Eine „Illusion“ sei diese romantische Vorstellung, meint Leonardo Rossi. Der Journalist berichtet für Zeitungen und Radioprogramme in Argentinien über Agrarthemen. Auf Einladung des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika war er mit zwei Aktivisten aus Bolivien und Paraguay in Berlin. Im Büro der Kampagne „Meine Landwirtschaft“, die sich für eine Veränderung der europäischen Agrarpolitik einsetzt, lieferten die Südamerikaner Informationen aus erster Hand.
Während Argentiniens Agrarmodell sich dem der USA mit ihren Monokulturen und Gentechnik-Feldern annähert, wird in Bolivien noch um die Zukunft von Millionen Kleinbauern gerungen. Gut ein Drittel der Einwohner leben dort von der Landwirtschaft. Doch auch hier wurde 2005 der Anbau von Gentechnik-Soja zugelassen, der Anteil an der Produktion liegt über 90 Prozent. Die Investitionen der Agrarindustrie rechnen sich aber nur dank der staatlichen Unterstützung, erklärt Enrique Castanon Ballivian von der Tierra-Stiftung in La Paz. Die Sojafelder Boliviens liegen zu weit von den Exporthäfen entfernt. Um den Transport überhaupt wirtschaftlich zu machen, hat die Regierung Straßen bauen lassen und subventioniert Treibstoff: ein Liter Diesel koste in Bolivien weniger als ein Liter abgefülltes Wasser, so Castanon Ballivian. Den Gewinn aus dem Export der Gentech-Soja schöpften Agrarkonzerne und Landbesitzer aus Brasilien und Argentinien ab. Unter Präsident Evo Morales gebe es zwar Gesetzesvorhaben, gentechnisch verändertes Saatgut langsam zurück zu drängen, berichtet Castanon Ballivian. Doch auch innerhalb der Regierung sei man sich nicht einig.
Gesellschaftliche Umwälzungen als Folge des Konzentrationsprozesses hat Miryam Estela Duarte Rojas in Paraguay beobachtet. Auch dort würden Kleinbauern verdrängt. Das teure Gentechnik-Saatgut und die dazu gehörenden Pestizide könnten sich ohnehin nur große Produzenten leisten. Und während diese kaum Steuern zahlten und im Fall von Ernteausfällen Geld vom Staat erhielten, mussten viele Familien ihr Land verlassen und in die Städte ziehen. So verändere sich die bäuerlich geprägte Kultur Paraguays, die enge Beziehung zum Boden ginge verloren. Duarte Rojas und ihre Kollegen von der Bauernorganisation „Coordinadora Latinoamericana de Organizaciones del Campo“ versuchen, dem im Kleinen entgegen zu wirken. Sie haben eine Internatsschule gegründet, an der Kinder von Kleinbauern neben dem normalen Unterricht auch in agrarökologischen Methoden ausgebildet werden. Die Schule liege im „Epizentrum des Soja-Anbaus“ und habe es schwer: seit der Entmachtung von Präsident Fernando Lugo, die die regionale Wirtschaftsorganisation Mercosur mit dem vorübergehenden Ausschluss des Landes quittierte, bekomme die Schule keinerlei staatliche Unterstützung mehr. Zwar könne man den Bedarf an Lebensmitteln teilweise durch die eigene Produktion decken. Doch die Lehrer erhalten momentan kein Gehalt. Die nachfolgenden Regierungen unter Federico Franco und aktuell Horacio Cartes, einem schwerreichen Unternehmer, stünden voll hinter den Sojabaronen.
Von der EU wünschen sich Duarte Rojas und ihre Kollegen aus Bolivien und Argentinien vor allem eins: weniger Soja zu importieren. Und wenn überhaupt, dann keine gentechnisch veränderte. Denn die belaste durch den einhergehenden Herbizideinsatz die Gesundheit der Einwohner, das Trinkwasser und die biologische Vielfalt. Konkret dürfe Europa keine Importgenehmigungen für Gentechnik-Sorten erteilen, die gegen stark giftige Spritzmittel wie 2,4-D resistent gemacht wurden. Denn was hierher eingeführt werden darf, wird anderswo – in dem Fall in Lateinamerika – angebaut. Die Kosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden tauchen aber nicht auf den Rechnungen europäischer Importeure oder gar der Verbraucher auf, die Fleisch oder Milchprodukte aus Sojafütterung kaufen. Sie tragen vielmehr die Menschen jenseits des Atlantiks. [dh]