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Interview zur Bioökonomie: Mehr Biomasse geht nicht

Die „Bioökonomie“ soll die Abhängigkeit vom Erdöl verringern, indem Konsumgüter auf pflanzlicher Basis hergestellt werden. Die Politik legt dafür Strategien auf und stellt viel Geld für Forschung bereit. Doch woher kommt die nötige Biomasse? Und bleibt die Ernährung auf der Strecke? Ein Gespräch mit Dr. Steffi Ober vom Naturschutzbund Deutschland.

Infodienst: Es gibt viele Strategiepapiere zur „Bioökonomie“. Doch was genau versteht man eigentlich darunter?

Steffi Ober: Das ist ein großer, umfassender Begriff. In Deutschland wird darunter eine biobasierte Wirtschaft verstanden, in der es darum geht, den Kohlenstoffträger von der fossilen, erdölbasierten Wirtschaft auf eine post-fossile, biomassebasierte Wirtschaft umzustellen. Landwirtschaft, Forst und Fischerei gehören gleichermaßen dazu.

ID: Das klingt in der Zeit von „Peak Oil“ und „Peak Everything“ doch eigentlich recht gut.

SO: Ich finde, man kann nicht für oder gegen Bioökonomie sein. Denn es geht ja darum, wie man in einer endlichen Welt mit begrenzten Ressourcen gut haushalten kann. Da müssen wir als Gesellschaft einfach Strategien entwickeln. Die Ernährungssicherung muss dabei an vorderster Stelle stehen. Aber auch in der Chemie- und Energiebranche kann ein Beitrag geleistet werden. Kunststoffprodukte sind ja überall, in der Häuserdämmung, Autositzen, Sitzen in Bussen, in vielen Alltagsgegenständen. Auch Pharmazeutika und Kosmetika basieren auf Rohöl.

ID: Dann stellt sich aber die Frage, woher die nötige Biomasse für diese Produkte kommen kann. Die Bundesregierung argumentiert gerne, man könne Abfälle und Reststoffe verwerten. Aber reicht das? Oder kommt es am Ende doch zu mehr Monokulturen, z.B. auch mit gentechnisch veränderten Bäumen, deren Holz anders zusammengesetzt ist?

SO: Auch wenn die Erträge des Biomasse-Anbaus optimiert werden, ist das letztendlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Schon heute, ohne dass die Industrie umgestellt ist, haben wir eine Importfläche von 30 Prozent, die Europa zusätzlich zur hiesigen landwirtschaftlichen Nutzfläche verbraucht. Das liegt vor allem am Fleischverbrauch, aber zum Teil auch schon an Importen für Bioenergie. Das Thünen-Institut ist in einer Studie zu dem Schluss gekommen, dass wir die nötige Biomasse nicht erzeugen können - auch nicht aus Reststoffen oder was auch immer – um auf dem jetzigen Niveau weiter wirtschaften zu können. Das ist auf jeden Fall klar.

ID: Das heißt, es muss entweder anderswo noch mehr Biomasse erzeugt werden oder hier anders gewirtschaftet und auch anders konsumiert werden?

SO: Mehr Biomasse zu erzeugen wird schwierig, weil die landwirtschaftlichen Flächen begrenzt sind und eine Intensivierung auch zu Kollateralschäden führt, beispielsweise durch stärkeren Düngereinsatz, der schädlich fürs Klima ist. Das Ziel müsste eigentlich sein, dass jede Person mit zwei Hektar auskommt. Wir sind momentan bei drei Hektar in den reichen Industrieländern. Das muss weniger werden.

ID: Es gibt aber auch optimistische Stimmen, die für mehr Produktion plädieren. Da wird dann oft auch die Gentechnik oder Biotechnologie genannt. Es gibt zum Beispiel das Forschungsprogramm „Pflanzenbiotechnologie der Zukunft“. Welche Rolle spielt die Gentechnik, oder auch die Synthetische Biologie, in der Bioökonomie?

SO: Also bei „Grüner“ Gentechnik, den Pflanzen auf dem Acker, sind die Probleme ja bekannt. Gentechnik führt ja nicht unbedingt zu mehr Ertrag, also zu mehr Biomasse. Das hat alles seine Grenzen. Auch bei den Gentechnik-Bäumen ist das begrenzt. Bei der „Weißen“ Mikrobiologie, also mit gentechnisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen Grundstoffe für die Chemieindustrie zu produzieren und dabei weniger Fläche zu brauchen, sind gewisse Potenziale da.

ID: Wissen Sie, wie viel öffentliche Forschungsgelder im Bereich Bioökonomie in Programme fließen, die mit Gentechnik zu tun haben?

SO: Insgesamt fördert die Regierung die Bioökonomie mit 2,4 Milliarden Euro. Wie viel davon direkt in Gentechnik fließt, weiß ich nicht. Ich habe aber den Eindruck, dass „Grüne“ Gentechnik nicht so eine große Rolle spielt. Seit 2010 stellt der Bund 45 Millionen Euro für Public-Private-Partnership-Projekte im Bereich Pflanzenbiotechnologie bereit. Die Ziele sind hoch gehängt, man darf auf den Erfolg gespannt sein. Interessant ist eher die „Weiße“ Biotechnologie für geschlossene Systeme. Vieles ist Grundlagenforschung. Momentan basiert aber nur 13 Prozent der Produktgrundlage der Chemie-Industrie auf Biomasse. 87 Prozent basiert also noch auf Erdöl. Das kann nicht alles auf Biomasse vom Acker umgestellt werden, auch nicht mit Kaskadennutzung. Das reicht nicht, um den Bedarf zu decken.

ID: In einem Papier des NABU heißt es, dass die Kontroll- und Mitspracherechte des Bundestages bei der Bioökonomie „mehr als dürftig“ sind. Stattdessen gibt es den Bioökonomierat, der aber mit industrie-nahen Experten besetzt ist. Hat sich da in letzter Zeit etwas geändert?

SO: Forschungsstrategien werden traditionell von den Ministerien aufgesetzt. Der Bundestag wird nur unterrichtet. Wenn dort während der Haushaltsdebatte nachgefragt wurde, was sich hinter den einzelnen Paketen verbirgt, hieß es: 'Das wird erst in den nächsten Jahren ausgestaltet.' Im Bioökonomierat waren von 2009 bis 2012 BASF, Dow Chemical, KWS und der Deutsche Bauernverband dabei. Seit 2012 gibt es eine etwas gemischtere Besetzung von wissenschaftlicher Seite. Was aber noch immer fehlt sind zivilgesellschaftliche Organisationen und landwirtschaftliche Anbauverbände, auch aus dem Ökolandbau. Außerdem wird oft kritisiert, dass Entwicklungshilfeverbände und das BMZ zu wenig eingebunden sind, obwohl gerade Dritte-Welt-Länder betroffen sind, wenn es um mehr Biomasse geht. Dafür sind Biotech-Unternehmen wie die BRAIN AG und KWS Saat AG drin und die Großchemie mit Dow Europe. Der Rat berät die Regierung und hat mal mehr und mal weniger Einfluss. Unklar ist, wer in der Regierung eigentlich den Hut auf hat. Die letzte Bioökonomiestrategie wurde vom Landwirtschaftsressort entwickelt, es gibt aber auch eine ganze Abteilung für Bioökonomie im Forschungsministerium.

ID: Der NABU schreibt, der Bioökonomierat konzentriere sich vor allem auf die „reine Absicherung der 'Nachfrage nach neuen Produkten und Dienstleistungen'“. Beispiel: eine Mercedes-Motorabdeckung aus Plastik aus Rizinus-Samen. Geht es letztlich also um ein „weiter so“ mit anderen Mitteln?

SO: Im Bioökonomierat wird da kontrovers diskutiert. Es geht einerseits um konkrete Produkte, es gibt aber auch Papiere zu nachhaltigem Konsum und anderen Lebensstilen. Es gibt auch eine gewisse Nachdenklichkeit, wie das vereinbart werden kann. Was bis heute ungeklärt ist, ist die Frage, wie „food first“ garantiert werden kann. Wer garantiert in Deutschland und in Europa, dass Nutzflächen in der Dritten Welt nicht einfach an den Höchstbietenden vergeben werden und dort dann Biomasse statt Nahrungsmittel erzeugt werden? Dafür gibt es kein zuständiges Gremium, weder national noch international, und das ist ein deutlicher Mangel.

Dr. Steffi Ober ist Referentin für Nachhaltige Forschungspolitik beim NABU und leitet die Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende.

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