Ein Mediziner und Epidemiologe der Universität Bremen wirft deutschen Behörden vor, den Herbizidwirkstoff Glyphosat systematisch zu verharmlosen. Er analysierte – wie er betont ohne Auftrag oder Bezahlung - wie unterschiedlich hiesige Stellen und die Krebsforschungsagentur der WHO das Ackergift bewerten. Es gehe um einen „beispiellosen gesundheitspolitischen Skandal“.
So habe das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das innerhalb der EU die federführende Rolle bei der Bewertung von Glyphosat spielt, Inhalte kritischer Studien bewusst falsch wiedergegeben. Dabei habe die Behörde, so wirft ihr der Bremer Wissenschaftler Eberhard Greiser vor, die Qualität von Studien anhand einer Checkliste geprüft, die 1997 von Mitarbeitern des Chemie-Konzerns BASF entworfen worden war.
Doch die beziehe sich gar nicht auf epidemiologische Studien, die die Gesundheit der Bevölkerung im Blick haben, sondern auf Versuche mit Labortieren. Dennoch habe das BfR glyphosat-kritische Studien anhand dieser Checkliste aussortiert, so Greisers Vorwurf. Kein Einzelfall, meint der Professor. Bei der Vorstellung seiner Analyse vor Journalisten, die auf Einladung der Grünen-Abgeordneten Bärbel Höhn und Harald Ebner in den Bundestag gekommen waren, verwies Greiser auf weitere Studien zu Glyphosat, die es nicht in die BfR-Auswahl geschafft hatten.
Insgesamt beruhe die Krebsrisiko-Bewertung der Behörde, die bei Glyphosat im Gegensatz zur Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO Entwarnung gibt, auf 61 Quellen – zehn davon seien jedoch „Geheim-Studien der Chemie-Industrie“, die die Öffentlichkeit leider nicht prüfen könne, so Greiser. Hersteller von Pestiziden und Gentechnik-Organismen geben solche Untersuchungen kaum an externe Wissenschaftler – angeblich, weil sonst Geschäftsgeheimnisse bedroht seien.
Der Grünen-Politiker Ebner warf dem BfR eine „Pfusch- und Verwirrungsstrategie“ vor. Noch im Agrarausschuss des Parlaments habe der Präsident der Behörde erklärt, Glyphosat sei nicht gefährlicher als Kochsalz oder Kaffee. Ebner forderte die Bundesregierung auf, aufzuklären, wie das BfR zu seinen Ergebnissen komme. Notfalls müsse es auch „personelle Konsequenzen“ geben, so der Abgeordnete. Das EU-Verfahren, in dem zurzeit geprüft wird, ob Glyphosat weitere zehn Jahre lang angewendet werden darf, müsse nun erst mal gestoppt werden.
Doch würde ein Moratorium auf die Anwendung des meistverkauften Herbizidwirkstoffs, wie es die Grünen fordern, nicht dazu führen, dass die Landwirte auf andere, vielleicht noch giftigere Mittel ausweichen? Bärbel Höhn, die Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestags, forderte von der Regierung eine „Pestizidreduktionsstrategie“. Die Landwirtschaft müsse wegkommen von der Chemiespritze. Der Mediziner Greiser fügte hinzu: es gebe für krebserregende Stoffe keine akzeptable Dosis – jede Menge, die davon in den Körper gelange, sei zu viel.
Der Streit um Glyphosat hatte dieses Frühjahr neue Fahrt aufgenommen, nachdem die Krebsforschungsagentur IARC das Spritzmittel als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hatte. Mittlerweile wurde bekannt, dass auch eine weitere, von der WHO eingerichtete Expertengruppe empfiehlt, das Herbizid neu zu bewerten. Das BFR, das an der Gruppe beteiligt war, begrüßte das. Auf die eigene Glyphosat-Bewertung und das laufende EU-Verfahren habe das aber keinen Einfluss. „Alle von der IARC zitierten Studien zum Wirkstoff Glyphosat wurden vom BfR im Addendum des überarbeiteten Bewertungsberichts (RAR) zu Glyphosat bereits vollständig geprüft.“
Die Qualität der eigenen Arbeit sei nicht in Frage gestellt, betonte die Behörde. Es gehöre schließlich „zum Alltag der Risikobewertung und ist Teil der wissenschaftlichen Arbeit, dass verschiedene Gremien aufgrund unterschiedlicher Informationen und Einschätzungen von epidemiologischen Daten und experimentellen Prüfungen Sachverhalte unterschiedlich einschätzen.“ [dh]
+++ UPDATE 23.09.15 +++ Das BfR veröffentlichte gestern eine weitere Stellungnahme zur Glyphosat-Bewertung. Darin heißt es: „Im derzeit laufenden EU-Wirkstoffverfahren für Glyphosat hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) alle verfügbaren Studien wissenschaftlich fundiert geprüft und bewertet. Dazu gehören auch die epidemiologischen Studien, die die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) in ihrer Monographie zitiert hat. Sowohl das BfR als auch die Bewertungsbehörden der EU und anderer Länder sowie die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC kommen zu der Schlussfolgerung, dass diese Studien nur begrenzte Hinweise auf die Kanzerogenität von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln (Gemischen aus Wirkstoff und Beistoffen) erbracht haben.“