Wenn Soja oder Mais als Futter für die Tierhaltung nach Europa verschifft werden, dürfen darin 0,1 Prozent auch derjenigen Gentechnik-Pflanzen enthalten sein, die eigentlich nicht per se in der EU zugelassen sind. Der Agrarindustrie ist das zu wenig. Offenbar will Brüssel ihnen nun entgegen kommen: Mengen bis zu 0,9 Prozent sollen künftig auf Antrag doch eingeführt werden dürfen – mit einer abgespeckten Sicherheitsprüfung.
Darauf lässt ein Briefwechsel zwischen EU-Kommission und Lebensmittelbehörde (EFSA) schließen, den diese im Sommer in ihrem Dokumentenregister veröffentlichte. Daraus geht hervor: Brüssel hatte die Behörde schon vor einem Jahr beauftragt, zu prüfen, ob bei den Anforderungen, die an Gentech-Unternehmen gestellt werden, nicht Abstriche gemacht werden können. Offenbar soll es ihnen so ermöglicht werden, Verunreinigungen von Futter- und auch Lebensmittellieferungen mit jenen Gentechnik-Pflanzen, die in der EU eigentlich gar nicht erlaubt sind, schon im Voraus absegnen zu lassen.
Natürlich nur, so heißt es im Mandat der Kommission, wenn diese Gentech-Spuren „nicht-beabsichtigt“ sind, sie nur „zufällig“ drin sind oder weil es „technisch unvermeidbar“ ist - und bei maximal 0,9 Prozent liegen. Dabei galt bis 2011 eine absolute „Nulltoleranz“, also 0,0 Prozent. Mit Zustimmung der Bundesregierung wurde das damals bereits gelockert, seitdem gilt die 0,1 Prozent-Schwelle bei Futtermitteln. Bei Lebensmitteln und Saatgut existiert die Nulltoleranz hingegen weiter. Nun sieht es so aus, als wolle die Kommission für Futter- und Lebensmittel die 0,9 klarmachen.
Noch mal zur Erinnerung: es geht dabei um Gentechnik-Pflanzen, die keine EU-Genehmigung haben, also auch keinerlei der hiesigen Risikobewertungsverfahren durchlaufen mussten. Abgesehen davon, dass das EU-Verfahren häufig als zu industrie-nah kritisiert wird, ist es doch strenger als beispielsweise in den USA.
Die EFSA bat zunächst um eine Präzisierung, im Juli nahm sie den Auftrag dann an. Gleichzeitig beantragte sie, ihr Zeit bis Mai 2017 zu geben. Brüssel wollte ursprünglich bis Ende Juli 2016 eine Antwort, hat die Verlängerung aber mittlerweile genehmigt. Die EFSA wird nun das Regelwerk der EU durchforsten, speziell den Anhang II der Durchführungsverordnung 503/2013. Darin wird aufgelistet, welche Angaben Unternehmen machen müssen, die eine Genehmigung ihrer Gentechnik-Pflanzen als Futter- und Lebensmittel beantragen wollen.
So müssen sie beispielsweise Daten zu toxikologischen Auswirkungen und dem Allergiepotenzial beilegen. Außerdem sollen sie sich „bemühen, GVO ohne Verwendung von Antibiotikaresistenz-Markergenen zu entwickeln.“ So soll angesichts ohnehin grassierender Resistenzen gegen die wichtigen Medikamentenwirkstoffe verhindert werden, dass weitere Krankheitserreger per Gentransfer immun werden.
Welche Angaben zur Sicherheit der in der EU nicht-zugelassenen Gentechnik-Pflanzen aus Sicht der EFSA womöglich überflüssig sind, ist völlig offen.
Umwelt- und Verbraucherschützer lehnen weitere Lockerungen der Nulltoleranz ab. Beim Saatgut könnte die Einführung eines Schwellenwerts von 0,1 Prozent bedeuten, dass etwa 100 nicht-genehmigte Gentechnik-Pflanzen pro Hektar in einem Maisfeld wachsen, warnt beispielsweise Greenpeace. Gegen die Aufweichung bei Futtermitteln protestierten die NGOs 2011 allerdings vergeblich. [dh]