Ein zweites Rechtsgutachten, diesmal im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz, hat sich mit CRISPR und anderen neuen Techniken der Erbgutveränderung beschäftigt. Auch hier lautet das Fazit: die neuen Verfahren, in die Forscher und Konzerne große Hoffnungen setzen, fallen unter das Gentechnik-Recht der EU.
Die EU-Kommission will bis Ende des Jahres eine Einschätzung abgeben, wie die neuen Techniken eingestuft werden sollten – als „Gentechnik“ im Sinne des Gesetzes? Oder könnten die Verfahren – und damit Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, die damit entwickelt werden – als Nicht-Gentechnik gelten? Das würde bedeuten, dass sie ohne Kennzeichnung und Risikoprüfung vermarktet werden dürfen.
Das nun veröffentlichte Gutachten findet eine eindeutige Antwort: das europäische Gentechnik-Recht, maßgeblich ist die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG, ist auf die neuen Techniken anwendbar. „Für dieses Ergebnis sprechen neben dem Wortlaut und der Historie der Bestimmung auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen“, erklärt Professor Tade Matthias Spranger, Jurist und Politologe am Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn. Er beschäftigte sich neben CRISPR mit der Oligonukleotid-gesteuerten Mutagenese (OgM), der Zinkfingernuklease-Technik (ZFN) und Transcription activator-like Nukleasen (TALENs).
Denn, so begründet der Jurist, mit den neuen Techniken würden Nukleinsäuren eingeführt und so „zielgerichtet in einem Organismus Veränderungen vorgenommen, die in dieser Weise in diesem konkret zur Beurteilung anstehenden Organismus mit Sicherheit nicht aufgetreten wären.“ Damit trifft auf sie zu, was der europäische Gesetzgeber für Gentechnik-Verfahren festgelegt hat: die „Insertion von Nukleinsäuremolekülen, die auf unterschiedliche Weise außerhalb eines Organismus erzeugt wurden“ und „in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, aber vermehrungsfähig sind“. Oder „Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde“.
Auch dass CRISPR & Co raffinierter sind als die „klassischen“ Gentechnik-Varianten - beispielsweise die Gen-Kanone - und nicht unbedingt auf Viren oder Bakterien als Vehikel für das Einbringen der fremden DNA angewiesen sind, spielt laut Spranger keine Rolle. Denn in den 1990er Jahren, als die EU am Gentechnik-Recht arbeitete, seien diese Techniken noch gar nicht oder kaum bekannt gewesen. Aber: der Gesetzgeber habe flexibles Recht schaffen wollen, dass sich auch an technische Weiterentwicklungen anpassen kann. Deswegen, so Jurist Spranger, habe man sich bei den Gentechnik-Kriterien (Anhang 1A der Richtlinie) „des Instrumentes einer nicht-abschließenden Auflistung bedient“.
Doch sind die neuen Gentechnik-Verfahren letztlich nicht auch nur dazu da, genetische Veränderungen bei Pflanzen und anderen Organismen hervorzurufen – ganz ähnlich der Mutagenese, die auch mit Strahlen oder Chemikalien herbeigeführt wird? Diese Auffassung vertreten Industrie-Lobbiysten, denn dann könnte es für ihren lukrativen Technologien schnellere Zulassungen geben. Doch dafür müssten die Techniken „seit langem als sicher gelten“ - so hat es die EU vorgesehen. Jahrzehntelange Erfahrungen wären also nötig. „Angesichts des vollkommen unzureichenden safety record für die genannten neuen Technologien ist es daher unmöglich, Annex I B [der Anhang, durch den Mutagenese ausgenommen wird, Red.] auf die entsprechenden neuen Technologien anzuwenden“ , schreibt der Professor.
Wie neu und wenig erforscht CRISPR & Co noch sind, zeigt nach Ansicht des Juristen auch eine Stellungnahme zur Anwendung beim Menschen, die im September von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften veröffentlicht wurde. Demnach könnten Forscher noch nicht einmal bei „simplen“ genetischen Veränderungen Langzeitfolgen vorhersagen. Zudem müsse die Effizienz und Sicherheit von CRISPR-Anwendungen gesteigert werden, um „ungewünschte Mutationen anderswo im Genom“ zu vermeiden.
Angesichts solcher Unsicherheiten erinnert Spranger an das Vorsorgeprinzip. Das sei von „entscheidender Wichtigkeit für das ganze europäische Umweltrecht“ und damit auch für die Interpretation der Gentechnik-Vorschriften. Also: die Risikobewertung, die gentechnisch veränderte Pflanzen derzeit durchlaufen müssen, ist – trotz aller Schwächen und der Beteiligung industrie-naher Experten – das absolute Minimum für CRISPR, OgM und andere neue Technologien.
Zur gleichen Einschätzung war im September auch der Umweltrechtler Ludwig Krämer gekommen. Einige Agrarminister, darunter der deutsche Minister Christian Schmidt (CSU), plädieren hingegen dafür, nicht alle neuen Verfahren als Gentechnik einzustufen. Ansonsten würden Innovationen blockiert. Bis Ende des Jahres will sich Brüssel dazu äußern. [dh]