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GRACE empfiehlt: Industrie nicht zu Fütterungsstudien verpflichten

Ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt empfiehlt, dass vor der Zulassung von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln künftig keine Studien an Ratten oder Mäusen mehr durchgeführt werden müssen. Diese hätten keinen wissenschaftlichen Mehrwert. Kritiker sehen darin den Versuch, der Industrie die Vermarktung ihrer Gentech-Pflanzen zu erleichtern.

Mit fast sechs Millionen Euro der EU-Kommission hatten Forscher verschiedener Hochschulen und Behörden verglichen, welche Auswirkungen beobachtet werden, wenn man Ratten 90 Tage bzw. ein Jahr lang mit dem Gentechnik-Mais MON810 füttert. Dieser insektizid-produzierende Mais des US-Konzerns Monsanto ist die einzige gentechnisch veränderte Pflanzen, die in der EU zurzeit angebaut werden darf.

Die Schlussfolgerung des „GRACE“-Projekts (GMO Risk Assessment and Communication of Evidence), das unter der Leitung des deutschen Julius Kühn-Instituts (JKI) durchgeführt wurde und gestern in Potsdam seine Abschlusskonferenz abhielt: es gebe „keinerlei Indiz“, dass die 90-Tages-Studien, die in der EU erst seit letztem Jahr vorgeschrieben sind, zusätzliche Informationen zur Sicherheit des Gentech-Mais liefern. Und auch bei einer Fütterung von 12 Monaten seien keine „relevanten zusätzlichen Informationen im Vergleich zu den 90-Tages-Studien“ gewonnen worden. Deshalb könne die Pflicht, Fütterungsstudien durchzuführen, „nicht gerechtfertigt“ werden.

Zwar, so erklärte der für die Fütterungsversuche verantwortliche Pablo Steinberg von der Tierärztlichen Hochschule Hannover in seiner Präsentation, sei es „offensichtlich, dass statistisch signifikante Unterschiede bezüglich einiger Parameter“ bei den Tieren, die mit MON810 gefüttert wurden und jenen, die konventionellen Mais zu fressen bekamen, beobachtet worden seien. Aber man interpretiere diese Differenzen als nicht durch den Gentechnik-Mais verursacht.

Das sieht man bei Testbiotech anders. Selbst wenn man der Interpretation der MON810-Daten folge, so kritisiert der Verein aus München, könne man daraus nicht einfach ableiten, dass die Unternehmen künftig keine Studien zu ihren Pflanzen mehr vorlegen bräuchten. Denn die GRACE-Ergebnisse zum Monsanto-Mais ließen sich „nicht auf andere gentechnisch veränderte Pflanzen übertragen und auch nicht auf Fütterungsversuche, die einem anderen Versuchsaufbau folgen“, heißt es in einem am Montag veröffentlichten Bericht des Vereins.

GRACE-Koordinator Joachim Schiemann, Institutsleiter am JKI, räumte auf der Pressekonferenz zwar ein, dass die Daten nur für den MON810-Mais erhoben wurden. Man müsse aber trotzdem versuche, daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen. Das Projekt könne der Politik dabei helfen, „wissenschaftsbasiert“ über die Regeln der Gentechnik-Risikobewertung zu entscheiden.

Die GRACE-Forscher schlagen vor, nicht automatisch Fütterungsstudien durchzuführen, sondern zunächst systematisch die Fachliteratur auszuwerten bzw. neue „omics“-Technologien (siehe unten) einzusetzen. Nur wenn dabei Auffälligkeiten beobachtet würden, sei eine Tierstudie notwendig. In der Zukunft, so die Hoffnung, könnten dann Tests an Zellkulturen Versuche mit lebenden Tieren überflüssig machen.

Der an GRACE beteiligte Biologe Ralf Einspanier von der Freien Universität Berlin gab jedoch zu bedenken, dass die Weiterentwicklung solcher Zellkultur-Tests für die Risikobewertung noch viel Arbeit und entsprechend viel Zeit benötige. Darauf hatte auch Testbiotech in seinem kritischen Bericht hingewiesen: Diese Verfahren seien „in Bezug auf die hier relevanten Fragen noch nicht reif für die Praxis“. An Fütterungsstudien führe momentan leider kein Weg vorbei: „Auch wenn Fütterungsversuche über 90 Tage im Hinblick auf die Komplexität der Risiken nicht ausreichend sind, so liefern sie aber zumindest einige Basisdaten für mögliche weitere Untersuchungen.“

Doch solche Studien kosten Zeit und viel Geld: 5,9 Millionen Euro blätterte Brüssel für drei Jahre GRACE hin. Noch mal 2,99 Millionen Euro gab es für ein weiteres Fütterungsprojekt mit dem Namen „G-TwYST“ (GMP Two Year Safety Testing), das noch bis 2018 läuft. Testbiotech kritisiert diese und weitere EU-Forschungsprojekte zu Gentechnik-Risiken nicht nur inhaltlich. Der Verein warnt, dass insbesondere die Koordinatoren „enge Verbindungen zu industrienahen Einrichtungen“ hätten. Auch zu Organisationen, die von Gentechnik-Konzernen wie Monsanto, Bayer oder Syngenta mitfinanziert werden – also von den Unternehmen, die sich die Durchführung der teuren Fütterungsstudien gerne sparen würden.

„Eine Handvoll industrienaher Wissenschaftler und ihr Netzwerk dominieren die mit öffentlichen Geldern finanzierte Gentechnik-Risikoforschung in der EU“, bilanzierte Christoph Then von Testbiotech in einer Pressemitteilung. Deshalb dürfe sich die EU nicht auf diese Projekte verlassen, wenn sie nächstes Jahr über die Fütterungsstudien entscheidet. Doch genau danach sieht es derzeit aus. In ihrer Durchführungsverordnung von 2013 erlegte sich die Kommission nämlich selbst auf, bis Ende Juni 2016 die „Verpflichtung zur Durchführung einer 90-tägigen Fütterungsstudie an Nagetieren (…) auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ zu überprüfen und „insbesondere die Ergebnisse des Forschungsprojektes GRACE“ zu überwachen.

Testbiotech forderte Brüssel auf, stattdessen „in Zukunft eine wirklich industrieunabhängige Risikoforschung zu fördern“ und vor weiteren Gentechnik-Genehmigungen die „vielen offenen Fragen in der Risikobewertung“ zu klären. [dh]

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