Im Europäischen Parlament diskutierten Agrarpolitiker und externe Experten gestern über neue Gentechnik-Verfahren. Sie heißen CRISPR, OgM oder Zinkfinger. Bis zum Ende des Jahres will die EU-Kommission mitteilen, ob sie die Verfahren als Gentechnik einstuft oder nicht. In einem neuen Forschungsbericht fordert Greenpeace, die neuen Techniken nicht einfach durchzuwinken – unbeabsichtigte Auswirkungen auf das Pflanzen-Erbgut seien nicht ausgeschlossen.
Die NGO geht davon aus, dass neue Verfahren der Genomveränderung – oft fällt der Begriff „Genome Editing“ - genauso unter das geltende Gentechnik-Recht fallen wie die „klassischen“ Verfahren, beispielsweise die eher rabiate Gen-Kanone. Denn was ist ein „gentechnisch veränderter Organismus“ (GVO)? Greenpeace verweist in dem Bericht auf die Definitionen der EU und der internationalen Gemeinschaft, die im Cartagena-Protokoll festgehalten wurde. Trotz kleinerer Unterschiede gebe es hier ein „Schlüsselelement“: das genetische Material eines GVO ist demnach durch „direkte Eingriffe“ verändert worden, nicht durch Kreuzung oder natürliche Rekombination.
Die EU habe in ihrer Gentechnik-Richtlinie einige Techniken aufgezählt, die in GVO resultieren. Doch das sei keine abschließende Liste – man sei sich bewusst gewesen, dass später technische Weiterentwicklungen hinzukommen könnten. Immerhin wurde die Richtlinie bereits kurz nach der Jahrtausendwende verabschiedet, also vor eineinhalb Jahrzehnten. CRISPR und anderen neue Verfahren gehören nun aus Sicht von Greenpeace – aber auch von deutschen Juristen, die dazu Gutachten erstellt haben – auf diese Gentech-Liste.
Zwar, so Greenpeace, könnten mit Genome Editing auch einzelne wenige DNA-Basen bearbeitet werden. Doch die dafür nötigen Eingriffe seien „deutlich“ anders als herkömmliche Zuchtverfahren. Vielmehr gehörten sie in den gentechnischen Bereich. Zudem sei es sowohl nach EU-Recht als laut Cartagena-Protokoll egal, ob nur ein oder zwei Basen verändert oder ganze Gensequenzen eingebaut würden – die entscheidende Frage sei: wurde genetisches Material der Pflanzen direkt modifiziert? Dies müsse man für die neuen Gentechniken bejahen.
Auch das Argument, bei den neuen Techniken werde gar keine Fremd-DNA in einen Organismus eingebracht, sondern nur Bausteine, die Oligonukleotide, lässt Greenpeace nicht gelten. Mehrere Nukleotide zusammen verhielten sich stets wie DNA, eine Unterscheidung von „rekombinanter DNA“ im Sinne der Gentechnik-Gesetzgebung sei physikalisch nicht möglich.
Greenpeace warnt vor den Folgen, würden CRISPR, Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM) und andere Techniken nicht als Gentechnik eingestuft. Die Pflanzen, die damit im Labor entwickelt werden, müssten dann nicht weiter geprüft, nicht gekennzeichnet und auf dem Feld nicht beobachtet werden. Ungewollte Effekte könnten so gar nicht bemerkt werden. Diese könnten auftreten, wenn es in den neuen Organismen unbeabsichtigt zu weiteren genetischen Änderungen oder Interaktionen käme – und dadurch neue Proteine entstehen. Allergische Reaktionen bei Tieren, die sich von diesen Pflanzen ernähren – auch bei Menschen – seien denkbar.
Die EU-Kommission wird in den kommenden Wochen mitteilen, was sie von den neuen Techniken hält. Einige Behörden, darunter das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), sprachen sich dafür aus, sie nicht als Gentechnik einzustufen. Die Grünen-Parlamentarierin Maria Heubuch warnte gestern vor diesem Schritt: „Die neuen Biotechnologien von einer Regulierung auszunehmen würde bedeuten, die bestehende Gesetzgebung zu unterwandern, ohne sie offiziell zu ändern.“
„Damit würde der Erfolg der europäischen Umwelt- und Bauernbewegungen, Europa weitgehend gentechnikfrei zu halten, untergraben. Die Risiken für die Verbraucher, Landwirte, Züchtungsunternehmen, für Umwelt- und Tierschutz gehen noch über jene der klassischen Gentechnik hinaus.“ [dh]