Die Frage, ob die EU in neuen Methoden der Erbgutveränderung Gentechnik sieht oder nicht, muss weiter auf eine Antwort warten. Die Europäische Kommission wolle ihre juristische Einschätzung nun im ersten Quartal 2016 vorlegen, erklärte eine Sprecherin dem Informationsdienst Gentechnik. Konservative Politiker drängen indes, die neuen Verfahren durchzuwinken.
Die Kommission wollte eigentlich bis Ende 2015 ihre juristische Einstufung der neuen Techniken vorlegen. Gestern hatte das Magazin Nature berichtet, es könne noch bis Ende März dauern. Es geht um Verfahren des „Genome Editing“ wie die Zinkfinger-Nuklease-Technik, Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenes, CRISPR-Cas, aber auch Cis- und Intragenese. Sollten einige oder alle dieser Verfahren als Nicht-Gentechnik betrachtet werden, dürften die damit entwickelten Pflanzen und Tiere ohne Risikobewertung, Kennzeichnung oder weitere Beobachtung vermarktet werden.
Wenn es so weit ist, will Brüssel seine Einschätzung den Mitgliedstaaten, „Stakeholdern“ - also Industrie und vielleicht auch NGOs – und EU-Parlamentariern präsentieren. Ein spezifisches Datum gebe es noch nicht, so die Sprecherin. Sie sagte auch, die Einschätzung soll zu einer „Harmonisierung“ der Ansätze der Mitgliedstaaten beitragen - bindend über die juristische Interpretation entscheiden könne aber nur der Europäische Gerichtshof. Klagen sind demnach also zu erwarten.
Für die Saatgut-Industrie hätte eine Einstufung als Nicht-Gentechnik enorme Vorteile. Konservative Politiker wollen ihr dabei behilflich sein. Das deutsche Landwirtschaftsministerium hatte sich unter Christian Schmidt (CSU) bereits im Oktober dafür ausgesprochen, Innovationen nicht zu behindern. Das Bundesamt für Verbraucherschutz erklärte, die neuen Techniken führten nicht zu gentechnisch veränderten Organismen, da sie „auch durch herkömmliche Züchtungstechniken oder natürliche Prozesse entstehen“ könnten.
Nun forderte die britische Tory-Abgeordnete Anthea McIntyre, die im Agrarausschuss des EU-Parlaments sitzt, „technologische Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft“. Dazu gehören aus ihrer Sicht auch CRISPR & Co. Man dürfe diese Techniken nicht ohne wissenschaftlichen Grund behindern und unter „unnötige regulatorische Aufsicht“ stellen.
Zwei Gutachten deutscher Juristen kamen hingegen zu anderen Einschätzungen als die Behörden. Laut Gentechnik-Recht der EU komme es schließlich auf den Prozess der DNA-Veränderung an. CRISPR und andere „Genome Editing“-Verfahren müssten daher als Gentechnik eingestuft werden. [dh]