Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Votum von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) für den weiteren Einsatz des Unkrautvernichters Glyphosat in der Europäischen Union öffentlich gerügt. Ein solches Verhalten dürfe sich nicht wiederholen, sagte Merkel heute in Berlin. Unterdessen hat die EU-Kommission angekündigt, die Transparenzregeln für die Pestizid-Bewertung zu überarbeiten.
Wie berichtet hatte der Vertreter des Bundesagrarministeriums gestern in Brüssel dafür votiert, Glyphosat weitere fünf Jahre zu erlauben, obwohl Umweltministerin Hendricks (SPD) strikt dagegen war. Er habe so zusätzliche Auflagen zum Schutz der Artenvielfalt erreichen können, begründete Christian Schmidt im Anschluss seinen Schritt. Und tatsächlich gibt es jetzt im Anhang zum Beschluss einen neuen Spiegelstrich: Die Mitgliedsstaaten sollten Biodiversität und Artenvielfalt besondere Aufmerksamkeit widmen. Bindende Wirkung hat das nach Einschätzung von Umweltverbänden jedoch nicht.
Darüber hinaus verpflichtete sich die EU-Kommission zu prüfen, wie die Transparenzregeln für wissenschaftliche Studien, die Pestizid-Bewertungen zugrunde liegen, klarer gefasst und optimiert werden können. Dazu wolle sie in Kürze Vorschläge unterbreiten, teilte eine Sprecherin dem Infodienst Gentechnik auf Anfrage mit. Im Vorfeld war die Glyphosat-Bewertung der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA heftig kritisiert worden, da sie große Textpassagen aus dem Antrag der Hersteller enthielt. Agrarminister Schmidt hatte Anfang November in einem Brief an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis verbesserte Transparenzregeln gefordert.
PolitikerInnen des aktuellen und möglicherweise auch künftigen Koalitionspartners SPD kritisierten Schmidts Alleingang als Vertrauensbruch und schwere Belastung der Zusammenarbeit. „Der Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin ist greifbar geworden und beschädigt die vertrauensvolle und reibungslose Zusammenarbeit in der Bundesregierung", konstatierte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider. Mit Blick auf die anstehenden Gespräche über eine Fortsetzung der großen Koalition fordert die SPD-Fraktion nun nationale Maßnahmen, um den Glyphosat-Einsatz zu beschränken. So solle das Pflanzengift in Privathaushalten und auf öffentlichen Flächen verboten werden. Für Landwirte solle es Auflagen geben mit dem Ziel, den Unkrautvernichter „langfristig“ ganz zu verbieten.
SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) plädierte in einem Interview des Deutschlandfunk ferner dafür, dem Agrarministerium die Zuständigkeit für die Spritzmittelzulassung zu entziehen. „Die sind einfach zu nah an der Lobby“, monierte die Ministerin. „Da gibt es nicht genug Kontrolle.“ Besser könnte sich das Gesundheitsministerium darum kümmern.
Auch von Verbänden gab es heftige Kritik: Der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) teilte heute mit, man werde sich an laufenden Dialogprozessen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium nicht weiter beteiligen. „Wer gegen die Regeln der Regierungspolitik verstößt und die Interessen von Umwelt und Verbrauchern mit Füßen tritt, muss sich nicht wundern, wenn er als verlängerter Arm der Agrarindustrie keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr erfährt“, sagte DNR-Generalsekretär Florian Schöne.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenen Brief zur „Schadensbegrenzung“ auf. BUND-Vorsitzender Hubert Weiger verlangt darin unter anderem eine Genehmigungspflicht für den Pestizideinsatz. Die “gute fachliche Praxis“, chemische Spritzmittel nur im Notfall als letztes Mittel einzusetzen, werde von den Landwirten nicht mehr befolgt. Sie müssten zu pestizidfreiem Ackerbau beraten und geschult sowie eine entsprechende Forschung finanziert werden. Weiger forderte die Bundeskanzlerin auf, dem Vorbild Frankreichs zu folgen, und Glyphosat innerhalb von drei Jahren in Deutschland zu verbieten.
Auch die Bundesdelegierten-Versammlung von Bioland setzt auf einen Innovationsschub für die Landwirtschaft und verlangte heute ein Verbot von Totalherbiziden. „Ihre breite Anwendung hat zu einem dramatischen Artenschwund und zur Verbreitung resistenter Problemunkräuter auf Ackerflächen beigetragen“, so die Analyse der Biolandwirte. Nach Ansicht des Naturschutzbund Deutschland muss nicht nur der Einsatz von Glyphosat beendet werden, sondern auch der des Agrarministers. „Angela Merkel hätte Christian Schmidt entlassen müssen“, sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Der Minister hinterlasse in Deutschland in doppelter Hinsicht vergifteten Boden. [vef]