Nachdem sich BASF zum Nachtisch noch Bayers Gemüsesparte einverleibt hat, darf der Leverkusener Chemiekonzern sein amerikanisches Tochterunternehmen Monsanto jetzt vollends schlucken. Damit übernimmt er auch Tausende teurer Gerichtsprozesse auf der ganzen Welt. Den Aktionären schlägt das toxische Mahl offenbar auf den Magen: Die Bayer-Aktie ist in freiem Fall.
Bei den Gerichtsprozessen geht es um Spritzmittelschäden für Gesundheit und Umwelt, Patente, Lizenzgebühren, Risikowarnungen und vieles mehr. Seit 11.8., als eine kalifornische Geschworenenjury Monsanto zu 250 Millionen Euro Schadenersatz an einen Krebskranken verurteilt hatte (wir berichteten), fiel der Kurs der Bayer-Aktie um 20 Prozent. Mit 76,03 Euro erreichte sie laut Manager-Magazin heute den tiefsten Stand seit fünf Jahren und etwa die Hälfte ihres Wertes von 2015. Anleger fürchteten unabsehbare Prozessrisiken, schreibt das Blatt.
Und das mit gutem Grund: Neben den nach Angaben Monsantos rund 5000 Klagen wegen Krebserkrankungen durch Glyphosat muss sich Bayer als alleiniger Eigentümer nun an den unterschiedlichsten Fronten für die berüchtigte Geschäftstätigkeit des amerikanischen Saatgutgiganten vor Gericht verantworten. Und die Hiobsbotschaften häufen sich.
So haben Farmer aus acht US-Bundesstaaten diese Woche beim Bezirksgericht am Monsanto-Sitz St. Louis Sammelklagen wegen Ernteschäden durch den Unkrautvernichter Dicamba eingereicht. Nach einem Bericht des US-Agrarportals harvestpublicmedia.org richten sich die Klagen sowohl gegen Bayer-Monsanto wie gegen BASF, die beide das Herbizid vertreiben. Die Bauern werfen den Unternehmen vor, Dicamba-resistentes Saatgut entwickelt zu haben, wohl wissend, dass das passende Spritzmittel nicht-resistente Pflanzen auf benachbarten Feldern vernichten kann. Und statt etwas dagegen zu tun, hätten die Firmen das Risiko durch ihr Handeln noch vergrößert. 2017 waren nach einem aktuellen Bericht der Universität Missouri 1,5 Millionen Hektar Anbaufläche durch Dicamba geschädigt worden, vorwiegend Sojapflanzen. Wie der Infodienst berichtete, war das Herbizid daraufhin in einigen Bundesstaaten verboten worden.
Auch in der Frage, ob der US-Bundesstaat Kalifornien Glyphosat auf eine Liste krebserregender Stoffe setzen darf, musste Monsanto nach einem Bericht des San Francisco Chronicle gestern eine Niederlage einstecken. Das oberste kalifornische Gericht ließ kein Rechtsmittel gegen ein Urteil der Vorinstanz zu, die es den kalifornischen Behörden im April erlaubt hatte, auf dieser Liste vor dem Totalherbizid zu warnen.
Bereits im Juli hatte Monsanto bei einem Patentstreit mit brasilianischen Landwirten eine Schlappe einstecken müssen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, wies ein brasilianisches Gericht lokale Töchter von Monsanto an, Lizenzgebühren im Zusammenhang mit der Gensoja-Technologie auf ein Treuhandkonto zu übertragen. Dort sollen die Gebühren der Landwirte vorläufig geparkt werden, bis die Richter entschieden haben, ob sie rechtens sind. Sojabauern im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso hatten Monsanto Unregelmäßigkeiten bei genetisch verändertem Soja-Saatgut der Sorte Intacta RR2 Pro vorgeworfen und bei Gericht die Aberkennung des Patents beantragt.
In Frankreich haben Imker Bayer wegen Glyphosatrückständen in ihrem Honig verklagt, berichtete die Nachrichtenagentur AFP. Die Liste ließe sich fortsetzen. Selbst bei Bayer scheint man noch keinen vollständigen Überblick darüber zu haben, was man sich mit Monsanto an Prozessrisiken eingehandelt hat. „Aufgrund der Auflagen des US-Justizministeriums war Bayer der Zugang zu detaillierten internen Informationen von Monsanto bisher verwehrt“, schreibt der Konzern heute in seiner Presseinformation. Und es klingt fast erleichtert, wenn es weiter heißt: „Mit dem heutigen Tage erhält Bayer auch die Möglichkeit, sich aktiv in die Verteidigung bei den Glyphosat-Verfahren und etwaigen anderen Rechtsstreitigkeiten, z. B. etwaigen Schadenersatzklagen bezüglich des Produkts Dicamba, einzubringen.“ Natürlich wird Bayer vortragen, dass es Glyphosat nicht für krebserregend hält. Auch geht das Unternehmen davon aus, dass die nächste Instanz dem todkranken Krebspatienten keinen Schadenersatz zusprechen wird. Und selbstverständlich teilt der neue Mega-Konzern seinen Aktionären mit, dass er sich wie geplant positiv wirtschaftlich entwickeln wird. Ob die Adressaten ihm das abnehmen, muss sich erst noch zeigen. [vef]