In den 1980er Jahren besprühten nicaraguanische Landarbeiter Bananen mit dem „Spermienkiller“ Fumazine und erkrankten. Vergangene Woche wurden in Sachsen-Anhalt Teile eines Chemieunternehmens gepfändet. Was lange währte, könnte mehr als 1000 nicaraguanischen Familien insgesamt 850 Millionen Euro Schadenersatz bringen – ohne den sächsischen Mitarbeitern zu schaden.
Am Pranger steht der amerikanische Chemiekonzern Dow. Wie mehrere Medien berichteten, hatte er vor mehr als 30 Jahren ein Insektengift mit dem Wirkstoff DBCP nach Nicaragua verkauft, das unter den Handelsnamen Fumazone und Nemagon vertrieben wurde. Neben Unfruchtbarkeit wird es unter anderem für Hautschäden verantwortlich gemacht. Wegen seiner gesundheitsschädigenden Wirkung war es in den USA bereits 1977 verboten worden.
In jahrelangen Gerichtsverfahren hatten 1245 erkrankte Bananenarbeiter in Nicaragua ein Urteil auf 850 Millionen Euro Schadenersatz erstritten. Doch in Nicaragua war bei Dow offenbar nichts zu holen und US-Gerichte kooperierten nicht. Da kamen die Arbeiteranwälte auf die Idee, es in Europa zu versuchen. Sie holten sich bei einem französischen Gericht die Erlaubnis, ihre Schadenersatzforderung gegen Dow in Europa zu vollstrecken. Und so kam Sachsen-Anhalt ins Spiel. Denn wie die „Leipziger Volkszeitung“ berichtete, kaufte der US-Konzern Dow chemicals nach der Wende für mehr als drei Milliarden Mark den VEB Chemische Werke Buna. Bis heute ist der amerikanische Konzern an der Dow Olefinverbund GmbH mit Sitz in Schkopau direkt und indirekt beteiligt.
Auf die direkten Anteile hatte es der Gerichtsvollzieher des zuständigen Amtsgerichts Merseburg nun abgesehen. Am 9. Oktober vollstreckte er die Anordnung des französischen Gerichts nach dem europäischen Rechtshilfeübereinkommen. Der US-Konzern Dow reagierte empört: Die französischen Richter hätten die Bescheinigung für das deutsche Vollstreckungsgericht nicht erteilen dürfen, beschwerte er sich in Paris. Außerdem habe man in Nicaragua kein faires Gerichtsverfahren bekommen. „Dow ist zuversichtlich, dass das französische Gericht den rechtswidrigen Pfändungsbeschluss aufheben wird“, zitierte die Zeitung „Die Welt“ eine Stellungnahme des Konzerns. Und tatsächlich hatten die Pariser Richter am 12. Juli nur eine einstweilige Verfügung erlassen. Die eigentliche Entscheidung wird erst im Januar folgen.
Wie auch immer sie ausgehen wird: Die mehr als 2000 Mitarbeitenden der Dow Olefinverbund GmbH müssten sich keine Sorgen machen, versicherte Klägeranwalt Christoph Partsch. Die Produktion könne weitergehen. Die Pfändung habe nur zur Folge, dass Dow seine Anteile am Olefinverbund nicht mehr abtreten und keine Dividenden mehr kassieren könne. Noch weiter anziehen wollen die Anwälte die Daumenschrauben für Dow über die amerikanische Börsenaufsicht. „Dow Chemical hat es unterlassen, Aktionäre und amerikanische Börsenaufsicht über die Forderung von fast einer Milliarde Dollar zu unterrichten. Das dürfte dem Konzern große börsenrechtliche Probleme bringen“, sagte Anwalt Partsch der Welt. Auch hier widersprach der Konzern.
Christoph Partsch räumte ein, dass die Franzosen ihre Zuständigkeit für Umwelt und Menschenrechte im Fall der nicaraguanischen Plantagenarbeiter ziemlich weit ausgelegt haben. Doch er findet das richtig. Internationale Konzerne, die von weltweitem Wirtschaften profitierten, müssten auch weltweit für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden können. [vef]
Hinweis: Am Montag, 19.10., diskutiert der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags ab 11 Uhr die Petition von www.pestizidkontrolle.de