Müssen Pflanzen, die mit neuen Technologien wie Crispr/Cas9 gentechnisch verändert wurden, nach Gentechnikrecht geprüft und gekennzeichnet werden? Selbstverständlich, sagt eine Koalition aus Umwelt-, Bauern- und Bio-Organisationen. Sie fordern die Bundesagrarministerin auf, die seit einem europäischen Urteil aus dem Sommer 2018 verbindlichen Regeln endlich umzusetzen. 23 Verbände der Agrar- und Ernährungswirtschaft dagegen wollen, dass das EU-Gentechnikrecht geändert und solche Pflanzen ausgenommen werden.
Die Verbände der Agrarwirtschaft behaupten in ihrem offenen Brief, die neuen Technologien des sogenannten Genome Editing böten „Chancen, die Folgen des Klimawandels abzumildern sowie die Nachhaltigkeit und die Biodiversität in der Landwirtschaft zu fördern“. Um Nutzpflanzen widerstandsfähiger gegen Wassermangel, Versalzung, Hitze, Krankheiten und Schädlinge zu machen, seien Innovationen in der Züchtung notwendig. Die neue Gentechnik besitze „das realistische Potenzial, innerhalb relativ kurzer Zeit zur Lösung solcher Herausforderungen beizutragen“. Darüber hinaus könne sie die bestehende natürliche genetische Vielfalt erweitern und Sorten für ein besseres Angebot an nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen bereitstellen.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die „Neuen Züchtungsmethoden“ als gentechnische Verfahren eingestuft habe, könnten sie in der EU und in Deutschland praktisch nicht mehr eingesetzt werden, beklagen die Agrarlobbyisten. Damit könnten sie weder der Landwirtschaft, noch Biodiversität oder Nachhaltigkeit nützen. Dabei hatte der EuGh lediglich die Bedingungen ihres Einsatzes festgelegt, um die Risiken der neuen Technologien zu minimieren. Zudem – so behaupten die Lobbyisten - lasse sich nicht nachweisen, ob eine Punktmutation durch neue gentechnische Verfahren, natürliche Mutation oder eine konventionelle Mutagenese mittels Strahlung oder Chemikalien herbeigeführt worden sei. Deshalb könnten die Anforderungen der Richter nicht umgesetzt werden.
Genau das bestreiten die Bio- und Umweltverbände. „Die praktischen Probleme bei der Umsetzung des Urteils können überwunden werden“, heißt es in ihrem Brief an das Bundeslandwirtschaftsministerium. Sie argumentieren, dass bekannte gentechnische Veränderungen etwa beim herbizidtoleranten Raps der Firma Cibus oder bei der Sojabohne von Calyxt sehr wohl nachgewiesen werden könnten. Diese beiden gv-Pflanzen werden in den USA bereits angebaut. Zudem sei es möglich, Nachweismethoden für unbekannte Produkte zu entwickeln. Auch könnten die nationalen Behörden Dokumentationen verlangen, die auf einem System von zertifizierten Erklärungen basieren und die Rückverfolgbarkeit der Gentech-Pflanzen sicherstellten.
Deshalb müsse Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner die deutschen Behörden anweisen, die notwendigen Kontrollen durchzuführen. Sie müsse die Hersteller von neuen Gentech-Produkten auffordern, Nachweismethoden, Referenz- und Kontrollmaterial zu liefern. Die EU-Kommission solle das EU-Netzwerk gentechnischer Laboratorien beauftragen, Methoden und Strategien zu entwickeln, um unbekannte, mittels Genome Editing hergestellte Produkte zu identifizieren.
In ihrem Schreiben unterstreichen die Verbände, dass nach dem Urteil mit neuen Gentechnologien veränderte Pflanzen auf ihre Risiken untersucht, zugelassen und gekennzeichnet werden müssten. Nur so könnten bei Schäden die Bestandteile eines Produkts zurückverfolgt werden. „Das ist unerlässlich, weil die Überprüfung unerwarteter Effekte von ‚Genome Editing’ nicht der Industrie überlassen werden darf“, heißt es in dem Brief. Außerdem sei nur so sicherzustellen, dass die Entstehung der Lebensmittel für Verbraucher transparent bleibe und sie damit frei wählen könnten, ob sie gentechnisch veränderte Produkte verzehren wollen oder nicht. [lf]