Die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel, erwartet von der Agrarindustrie, dass sie die Nachweismethoden für genomeditierte Pflanzen beim Zulassungsantrag mitliefert. Das sei gesetzlich vorgeschrieben und müsste auch im eigenen Interesse der Hersteller sein, sagte Jessel heute bei einer Anhörung im deutschen Bundestag. Sie widersprach damit der Argumentation, neue Gentechnikverfahren könnten mangels Nachweisbarkeit nicht reguliert werden.
Damit solche Pflanzen nicht unbemerkt von außerhalb in die Europäische Union importiert werden könnten, müsse es ein internationales Register aller freigesetzten Gentech-Organismen (GVO) geben, forderte Jessel. „Dies schließt explizit neue Gentechniken mit ein“, schrieb sie in ihrer Stellungnahme. Auch eine Kennzeichnung von GVO könne es Verbrauchern ermöglichen, zwischen gentechnisch veränderten und Lebensmitteln ohne Gentechnik zu wählen. In jedem Fall müssten Pflanzen, deren Erbgut mit neuer Gentechnik verändert wurde, vor der Zulassung auf Risiken geprüft werden – auch im Blick auf Wechselwirkungen mit der Umwelt. Werden die Pflanzen dann genutzt, seien die Folgen zu überwachen, so die Behördenleiterin.
Zuvor hatte ein Vertreter des zuständigen Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) beklagt, es stelle seine Behörde vor große Probleme, die winzigen Veränderungen durch neue gentechnische Verfahren zu identifizieren. Das Vorsorge- und das Innovationsprinzip seien in diesem Fall kaum „unter einen Hut zu bekommen“.
Der Rechtssachverständige Tade Spranger klärte daraufhin darüber auf, dass das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Umwelt in die europäischen Verträge aufgenommen wurde und damit Verfassungsrang habe. Das Innovationsprinzip sei dagegen nur ein „PR-Prinzip“, das man dem Vorsorgeprinzip aus politischen Gründen entgegensetzt. Das geltende Gentechnikrecht, das der Europäische Gerichtshof 2018 in einer guten rechtsstaatlichen Entscheidung auf die neuen Technologien angewendet habe, sei für diese ein „praxisgerechtes und taugliches Instrumentarium“. Auch die meisten anderen Rechtsordnungen der Welt wollten die neue Gentechnik bei genauer Betrachtung nicht einfach freigeben.
Biolandwirt Felix Prinz zu Löwenstein bezweifelte die Versprechen der Befürworter, mit neuer Gentechnik könnten die großen Krisen der Gegenwart wie Klimawandel, Hunger und Artensterben bewältigt werden. Der Vorsitzende des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft verwies darauf, dass diese Krisen vielfältige Ursachen hätten, die nur mit grundlegenden Veränderungen in der Agrarwirtschaft bekämpft werden könnten. Es brauche keine trockenheitstoleranten Superpflanzen, sondern ein resilientes Produktionssystem, das stark schwankenden klimatischen Bedingungen gewachsen sei.
Vertreter von Agrarindustrie und Pflanzenwissenschaft forderten, die gesetzlichen Regeln für die neue Gentechnik sollten sich an den tatsächlichen Risiken einzelner Pflanzen und nicht an der Technologie orientieren. Sie warnten davor, den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland zu schwächen, indem neue Gentechnik strenger reguliert werde als andernorts. In dieses Horn blies auch die FDP-Fraktion im Bundestag, die in einem Antrag für eine abgestufte Risikoklassifizierung für sämtliche Pflanzenzüchtungsverfahren – von konventionell bis neue Gentechnik - plädierte.
Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen dagegen will, dass die neuen Gentechniken nach geltendem EU-Recht reguliert bleiben. Zur Kontrolle müsse ein internationales Gentechnikregister eingerichtet und intensiv an Nachweisverfahren für Genmanipulationen mit neuen Technologien geforscht werden. In ihrem Antrag heben die Grünen hervor, dass auch kleine Veränderungen im Genom große Auswirkungen haben können. Die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass die Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen und Tieren vor der Zulassung differenziert, interdisziplinär und von wirtschaftlichen Interessen unabhängig geprüft werden. [vef]