Von den 13 Millionen Körnern gentechnisch verunreinigten Zuckermaises, die derzeit in ganz Europa gesucht werden, wurden allein vier Millionen nach Hessen verkauft. Nach aktuellem Stand sei der Mais in sechs Bundesländer geliefert und dort auch gesät worden, teilte das niedersächsische Umweltministerium auf Anfrage mit. Die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit forderte die Länder auf, bei Risikokulturen künftig sämtliche Saatgutpartien lückenlos auf gentechnisch veränderte Organismen zu prüfen.
Wie berichtet hatte ein niedersächsischer Händler den konventionellen Mais der Sorte „Sweet Wonder“ (süßes Wunder) aus den USA importiert und in Deutschland, Europa und Russland verkauft. Wie Kontrolleure in Ungarn im Mai feststellten, enthielt der Zuckermais etwa 0,1 Prozent der gentechnisch veränderten Maisevents MON88017 und MON89034 der Bayer-Tochter Monsanto. Sie machen den Mais resistent gegen das Pflanzengift Glyphosat. Solcher Gentech-Mais darf in Deutschland nicht angebaut werden. Das ist nun aber nicht nur in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Bayern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen passiert.
Auf der mit knapp 36 Hektar größten Fläche wurden in Hessen nach Angaben des dortigen Umweltministeriums 2,25 Millionen Körner ausgesät. Die beiden betroffenen Landwirte müssten die Pflanzen bis 10. Juli „mechanisch zerstören“, teilte eine Sprecherin des Ministeriums dem Infodienst auf Anfrage mit. Die Überwachungsbehörde werde kontrollieren, dass sie auf den Flächen frühestens im Frühjahr 2021 wieder Mais anbauen.
In Schleswig-Holstein landeten 24.000 verunreinigte Zuckermaiskörner. Ein Teil davon wurde im Frühjahr in den Kreisen Pinneberg, Ostholstein und Herzogtum Lauenburg auf einer Gesamtfläche von rund 3500 Quadratmetern ausgesät, informierte das dortige Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Es ordnete an, die Maispflanzen unverzüglich und vollständig zu vernichten. Auch hier darf auf den Flächen in diesem Jahr kein Mais mehr gesät werden.
In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurden je 5000 Maiskörner verkauft. Entsprechend klein sind mit gut 600 und rund 500 Quadratmetern die bebauten Äcker. Nach Bayern lieferte der Händler 20.000 verunreinigte Maiskörner. Wie viele davon bereits ausgebracht wurden, ist bisher nicht bekannt. Die 2000 Maispflanzen, die in Baden-Württemberg schon auf dem Feld wuchsen, sind wie berichtet bereits vernichtet. Das niedersächsische Unternehmen Agri-Saaten geht derzeit davon aus, „dass europaweit gegebenenfalls etwa 100 bis 120 Hektar von behördlichen Vernichtungsanordnungen betroffen sein könnten.“ Wie berichtet hatte Agri-Saaten den verunreinigten Zuckermais in sieben europäischen Ländern verkauft.
„Der aktuelle Verunreinigungsfall bestätigt einmal mehr: Bei Kulturarten, die ein derart hohes Verunreinigungsrisiko aufweisen, genügt es nicht, dass die Bundesländer in ihrem Saatgutmonitoring wie derzeit nur einen kleinen Teil der Partien stichprobenartig beproben“, monierte Stefanie Hundsdorfer von der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut). Hinzu kommt, dass es unter den einzelnen Bundesländern große Unterschiede gibt, wie viele Stichproben sie jeweils nehmen. Während in Niedersachsen, wie berichtet, in einem halben Jahr 88 Maisproben getestet wurden, waren es in Schleswig-Holstein im ganzen Jahr 2019 nur fünf. In keinem der betroffenen Bundesländer waren die gentechnischen Verunreinigungen im amerikanischen Zuckermais aufgefallen. „Offenbar sind die Behörden mit den Kontrollen überfordert“, konstatierte der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner und sprach von einem „Genmais-Gate“.
Überfordert scheinen aber auch die Labore in den USA. Wie der niedersächsische Saatguthändler inzwischen schrieb, habe er das verunreinigte „Sweet Wonder“-Saatgut vor dem Export aus den USA von unabhängigen Laboren testen lassen, ob es frei von gentechnisch veränderten Samen ist. Das sei ihm bescheinigt worden. Man bemühe sich jetzt darum, den Schaden für alle Beteiligten weitestgehend zu begrenzen. „Wollte man eine hundertprozentige Sicherheit der Gesamtcharge erreichen, müsste jedes Saatkorn einer Lieferung getestet werden“, spitzte es der Händler zu.
Eine realistischere Forderung hat Stefanie Hundsdorfer von der IG Saatgut: „Um unsere Lebensmittelerzeugung gentechnikfrei zu halten, ist es bei Risikokulturen leider notwendig geworden, dass die Länderbehörden lückenlos alle Saatgutpartien, die auf ihrem Gebiet in Verkehr gebracht werden, auf gentechnisch veränderte Organismen überprüfen. Dabei müssen auch importierte Partien mit größtmöglicher Kontrolldichte erfasst werden.“ Denn gerade in Regionen wie Nord- und Südamerika, wo gentechnisch verändertes Saatgut weit verbreitet ist, kommt es leicht zu Verunreinigungen.
Mit der Folge, dass gentechnikfreier Anbau und Lebensmittel in Europa gefährdet sind. „Kommt gentechnisch verunreinigter Mais zur Blüte, birgt er ein großes Verbreitungs-Potential und kann Ernten oder Saatgut verunreinigen“, erklärte Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. „Wir fordern die Behörden daher dringend auf, vollständige Transparenz über alle betroffenen Flächen und Saatguteinheiten herzustellen, alle betroffenen Pflanzen vor der Blüte zu vernichten und auch in den kommenden Jahren sicherzustellen, dass kein gentechnisch veränderter Mais auf den entsprechenden Flächen zur Blüte gelangt. Die betroffenen Bäuer*innen und Züchter*innen sind für ihre Kosten und Mehraufwand vollständig vom Verursacher zu entschädigen." [vef]