42 mal hat die EU-Kommission ablehnende Stellungnahmen des Europäischen Parlaments zu Gentechnik-Zulassungen ignoriert. Jetzt steht der 43. Fall an und 50 Europa-Parlamentarier haben deshalb an EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans geschrieben. Sie fordern, den aus ihrer Sicht undemokratischen Entscheidungsmodus zu ändern und den Green Deal nicht durch ein ‚Weiter so’ bei der Agro-Gentechnik zu gefährden.
Gentechnisch veränderte Pflanzen werden für den Import als Futter- und Lebensmittel in die EU derzeit so zugelassen: Im eigentlich zuständigen Ausschuss der Mitgliedsstaaten fehlt die für die Zulassung notwendige qualifizierte Mehrheit. In diesem Fall fällt das Entscheidungsrecht an die Kommission und diese hat bisher immer die Zulassung erteilt. Das Europäische Parlament hat in bisher 42 Fällen eigene Stellungnahmen verabschiedet und jedes Mal die Kommission aufgefordert, die Gentech-Pflanze nicht zuzulassen. Damit hat das Parlament den Willen der EU-Bürger formuliert, die seit 25 Jahren Gentechnik im Essen mit deutlicher Mehrheit ablehnen. Doch auf die Zulassung haben Parlamentsbeschlüsse keinen Einfluss.
„Diesem Entscheidungprozess fehlt die demokratische Legitimität“ haben 50 Europaabgeordnete aus verschiedenen Fraktionen an Frans Timmermans geschrieben, der als Vizepräsident der EU-Kommission für die Umsetzung des im Dezember 2019 vorgestellten Green Deals verantwortlich ist. Die im Herbst 2019 neu angetretene EU-Kommission muss jetzt zum ersten Mal über eine Zulassung entscheiden. Es geht um die Sojabohne MON 87708 × MON 89788 × A5547-127, die gegen drei Herbizide resistent gemacht wurde. Das Parlament hatte die Zulassung am 14. Mai abgelehnt, „mit der höchsten Zustimmung, die ein solcher Antrag je erreicht hat“, heißt es in dem Schreiben. Gleichzeitig hätten im zuständigen Ausschuss nur zehn Mitgliedsstaaten, die 37 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für eine Zulassung gestimmt. „Wir bitten Sie dringend, die Zulassung wie vom Parlament verlangt, zu verweigern. Das Recht dazu hat die Kommission“, schreiben die Abgeordneten.
Sie argumentieren auch mit den Gesundheitsrisiken der Herbizide Glyphosat, Glufosinat und Dicamba, gegen die die Gentech-Bohne resistent sei und die deshalb verstärkt eingesetzt würden. Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA habe die Risiken eines Rückstandscocktails aus diesen drei Wirkstoffen nicht betrachtet.
Der Sojaanbau in Südamerika sei die wesentliche Ursache dafür, dass die Wälder Amazoniens, des Cerrado und Gran Chaco abgeholzt würden, schreiben die Abgeordneten weiter. Die Entwaldung gefährde die Artenvielfalt und heize den Klimawandel an. Würde die Kommission die Zulassung dieser neuen Gentech-Sojabohne ablehnen, sei dies ein deutliches Zeichen dafür, dass die Versprechen des Green Deal nicht nur leere Worte seien. Die EU-Kommission wollte zu dem Schreiben keine Stellung beziehen. Sie werde den Brief und die aufgeworfenen Fragen direkt und auf formellem Weg beantworten, teilte deren Pressestelle mit. [lf]