Die grüne Agrarpolitik orientiert sich weiter am Leitbild der gentechnik- und pestizidfreien ökologischen Landwirtschaft. Das steht im neuen Grundsatzprogramm, das der virtuelle Bundesparteitag von Bündnis90/die Grünen gestern beschlossen hat. Durch wissenschaftliche Risikoprüfungen und verbindliche Kennzeichnung auch genomeditierter Produkte sollen Gesundheit und Wahlfreiheit der Verbraucher*innen gesichert werden.
„Eine zukunftsfähige Landwirtschaft arbeitet mit der Natur“, heißt es im ersten Kapitel des Programms unter dem Titel „Lebensgrundlagen schützen“. „Sie arbeitet ressourcenschonend, naturverträglich und orientiert sich am Leitbild der ökologischen Landwirtschaft mit ihren Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden.“ Dieser Hinweis auf die gentechnikfreie Ökolandwirtschaft war im ursprünglichen Programmentwurf nicht enthalten. Er war offenbar eine Konzession an eine Reihe von Änderungsanträgen, die das grüne Nein zur Gentechnik auf dem Acker auch im neuen Grundsatzprogramm erhalten wollten. Die Passage wurde mit dem Gesamtkapitel abgestimmt.
Separat abstimmen konnten die Delegierten, wie neue Gentechnik reguliert und wie daran geforscht werden soll. Obwohl der Parteivorstand dazu zwei Tage vor der BDK einen überarbeiteten Formulierungsvorschlag eingebracht und damit zahlreiche Änderungsanträge abgeräumt hatte, konnten die mehr als 800 Delegierten am Samstag zwischen drei Varianten entscheiden: Gentechnikforschung fördern, verbieten oder ihr die Freiheit zugestehen, sich in einem begrenzten Rahmen zu entfalten. Ferner ging es um Kernforderungen der Gentechnikkritiker wie Zulassungsverfahren und Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Produkte.
„Wie bei jeder Technologie muss der politische Kompass zum Umgang mit alten wie neuen gentechnischen Verfahren sein, einerseits die Freiheit der Forschung zu gewährleisten und andererseits bei der Anwendung Gefahren für Mensch und Umwelt auszuschließen“, heißt es im Kompromissvorschlag des Bundesvorstands, der am Samstag mit 529 von 722 abgegebenen Stimmen verabschiedet wurde. Um das zu gewährleisten gelte es „an einem strengen Zulassungsverfahren und am europäisch verankerten Vorsorgeprinzip festzuhalten. Dazu bleiben Risikoprüfungen auf umfassender wissenschaftlicher Basis und eine Regulierung nötig, die unkontrollierbare Verbreitung ausschließen und über eine verbindliche Kennzeichnung die gentechnikfreie Produktion und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen schützen.“
Verstärkt gefördert werden soll nach dem neuen Grundsatzprogramm nun die bisher unterentwickelte Risikoforschung und die Entwicklung von Nachweismethoden für neue gentechnische Verfahren. Denn weil es bisher nur einen Test für eine genomeditierte Pflanze gibt, der von den Behörden noch nicht anerkannt wird, können Importe aktuell nicht auf solche in Europa illegalen Pflanzen kontrolliert werden. Auch nach Alternativen zur Gentechnik, die auf traditionelle und ökologische Züchtungsverfahren setzen, sollen Wissenschaft und Praxis künftig intensiver suchen. Die Forderung einiger Wissenschaftler*innen und anderer Grünen, die Forschung an neuen gentechnischen Verfahren verstärkt zu fördern und ihre Produkte weniger streng zu regulieren, konnte sich nicht durchsetzen. Bei einem Meinungsbild erhielt der entsprechende Antrag der Heidelberger Molekularbiologin Dorothea Kaufmann nur 200 von 745 abgegebenen Stimmen.
Einig waren alle drei Anträge darin, dass es keine Patente auf Pflanzen und Tiere sowie deren genetische Anlagen geben darf. Eine rote Karte bekamen auch sogenannte Gene drives, eine Art Vererbungsturbo, durch dessen selbstzerstörerische Wirkung etwa Malaria-Mücken massiv dezimiert werden sollen. „Bei Eingriffen in die Natur müssen nicht-verantwortbare Risiken, wie die Ausrottung ganzer Populationen oder Arten durch gentechnische Methoden, ausgeschlossen werden“, heißt es im neuen grünen Grundsatzprogramm.
Harald Ebner, der grüne Gentechnikexperte im Bundestag, der bis zuletzt um ein deutliches Votum für strenge Regeln bei neuen gentechnischen Verfahren gekämpft hatte, war zufrieden: Die Delegierten hätten mit überwältigender Mehrheit klargestellt, dass die Gentechnologie in der Landwirtschaft weiter streng reguliert bleiben muss, konstatierte Ebner. „Forschung bleibt wie bisher möglich, wird aber im Bereich der Risiko- und Nachweisforschung gestärkt.“ Auch der Geschäftsführer des Bundes ökologische Lebensmittelwirtschaft begrüßte, „dass die Grünen sich durch uneingelöste Heilsversprechen der Chemieindustrie nicht in Ablenkungsdebatten verwickeln lassen. Und dass die Partei stattdessen den Umbau in Richtung Öko entlang der ‚Prinzipien Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit und Freiheit von synthetischen Pestiziden‘ entwickeln will“, so Peter Röhrig.
Konventionelle Wirtschaftsbetriebe, die gentechnikfrei produzieren, vertritt der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik. Sein Geschäftsführer Alexander Hissting verwies darauf, dass die beschlossenen Prinzipien wie Wahlfreiheit und Transparenz den Wünschen der allermeisten Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen und für eine erfolgreiche Lebensmittelwirtschaft mit dem „Ohne Gentechnik“-Siegel unverzichtbar sind. Besonders wichtig sei es für sie, funktionierende Nachweismethoden für genomeditierte Pflanzen zu entwickeln.
Das grüne Grundsatzprogramm mit dem Titel «Zu achten und zu schützen - Veränderung schafft Halt» soll für die kommenden 15 bis 20 Jahre gültig bleiben. Erste Bewährungsprobe werden die Wahlprogramme sein, die für die Bundestags- und Landtagswahlen 2021 auf seiner Grundlage erstellt werden müssen. Aber am Ende, das haben die Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock beim Parteitag klargemacht, wollen sie das Programm in einer Regierung umsetzen. [vef]