Risikoforschung, Nachweisverfahren, Kennzeichnungspflichten: Das ist aus Sicht von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) unabdingbar, um die Risiken neuer Gentechnik in der Landwirtschaft für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit einzudämmen. Das geltende europäische Gentechnik-Recht erfasse auch neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas, betonte sie gestern. Wie das entsprechende Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgesetzt werden kann, darauf erwartet sie Antworten von einer für morgen angekündigten Studie der EU-Kommission.
Würden Pflanzen oder Tiere mit neuer Gentechnik (NGT) verändert, könnten die langfristigen Folgen für Umwelt und Gesundheit bisher nicht abgeschätzt werden, so Schulze. Monokulturen und Hochleistungspflanzen machten die Landwirtschaft zudem anfällig für Schädlinge. Deshalb will sie das europarechtliche Vorsorgeprinzip wahren und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen sichern. In einem Positionspapier „Gentechnik in der Landwirtschaft: Für Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip“ listet ihr Ministerium auf, was „dringend … angegangen werden müsste“. „Die Bundesregierung wird sich hier künftig auf nationaler und europäischer Ebene besser aufstellen müssen“, so die SPD-Ministerin. Und warum tat sie es bisher nicht?
Federführend bei der Gentechnikgesetzgebung für die Landwirtschaft sei Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), erklärte Schulze. Und die sieht das alles anders: Klöckner spricht von „neuen molekularbiologischen Techniken“ statt von Gentechnik, stellt dem Vorsorge- ein Innovationsprinzip gegenüber und ermahnt die ehemalige NRW-Wissenschaftsministerin Schulze, sie möge „wissenschaftliche Fakten in ihr Stimmungsbild miteinbeziehen“. Auch Klöckner wünscht sich „klare Regeln“ für die neue Technik, welche bleibt offen. Ein deutsches Gesetz zur europäischen Opt-Out-Richtlinie scheint es jedenfalls nicht zu sein. Ein umstrittener Entwurf ruht seit langem in Bundestagsausschüssen. Schulze sähe ihn gerne verabschiedet, so stehe es schließlich im Koalitionsvertrag. Doch die Legislaturperiode ist fast zu Ende und die Koalitionäre wechseln allmählich vom Regierungs- in den Wahlkampfmodus.
Um die unabhängige Risikobewertung von NGT zu fördern, habe man aber schon einen ersten Schritt getan, berichtete Schulze. Auf Initiative des SPD-Abgeordneten Matthias Miersch habe die Koalition 3,5 Millionen Euro im Bundeshaushalt eingestellt, um die ökologischen Auswirkungen von NGT zu erforschen, bestätigte eine Ministeriumssprecherin. Davon können 250.000 Euro noch in diesem Jahr ausgegeben werden, der Rest bis 2024. Dass man NGT nachweisen könne, hätten Verbände für Cibus-Raps vorgemacht, so die Ministerin. Hier müssten nun zügig weitere Nachweisverfahren entwickelt werden. Und schließlich brauche es ein europaweites System zur Herkunftskennzeichnung beim Import von Schüttgut in die Europäische Union, insbesondere von Getreide, Soja und Raps. Auch für Produkte von Tieren, die gentechnisch verändertes Futter bekamen, müsse es eine Kennzeichnungspflicht geben. Bisher existiert ein freiwilliges Ohne Gentechnik-Siegel.
Umweltverbände begrüßten Schulzes klare Position. Der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz, Olaf Bandt, forderte die Bundesregierung auf, „sich auch auf europäischer Ebene für vielfältige und widerstandsfähige Anbausysteme und eine ökologischere Landwirtschaft einzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss Gentechnik wie bisher reguliert bleiben." Auch Greenpeace warnte eindringlich vor den Risiken der neuen gentechnischen Verfahren. „Möglicherweise verschlimmern sie die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft sogar, jedenfalls machen sie Mensch und Natur zu einem gigantischen Gentechnik-Experiment mit unbekannten und potenziell unwiderruflichen Folgen“, schrieb Greenpeace Österreich in der Presseinformation zu einem neuen Positionspapier „Danger ahead“ (dt.: Gefahr voraus).
Und schließlich sehen viele Landwirte die neuen Entwicklungen in der Gentechnik mit Sorge. Dass deutsche Bauern die große Nachfrage nach gentechnikfreien Lebensmitteln bislang zuverlässig befriedigen können, sei ein großer Wettbewerbsvorteil auf dem internationalen Markt, erläuterte Milchbäuerin Elisabeth Waizenegger von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Deshalb müssten auch NGT-Produkte gekennzeichnet werden, um eine Verunreinigung konventioneller Agrarprodukte zu vermeiden. Außerdem brauche man Haftungsregelungen, damit die Bauern nicht auf möglichen Kontaminationsschäden sitzen blieben. Für die AbL haben 12 Autor*innen unterschiedlicher Fachgebiete ihre gentechnikkritische Sicht auf die aktuelle Diskussion in einer 80seitigen Broschüre „Neue Gentechnik: Regulierung oder Freifahrtschein?“ zusammengefasst. [vef]