Neue gentechnische Verfahren wie Crispr/Cas sollen auch künftig auf ihre Risiken geprüft und unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips zugelassen werden. Dafür spricht sich die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) in ihrem Abschlussbericht aus, den sie heute der Bundeskanzlerin überreichte. Eine gesetzliche Regulierung müsse Landwirtschaft und Verbrauchern die Wahl lassen, ob sie Produkte mit oder ohne Gentechnik bevorzugen.
Die gentechnikfreie Produktion sei in Deutschland von großer Bedeutung, begründet dies das 187seitige Papier zum Thema „Zukunft Landwirtschaft“. 31 Vertreterinnen aus Landwirtschaft, Wirtschaft, Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz sowie Wissenschaft hatten im Auftrag der Bundeskanzlerin zehn Monate an Empfehlungen und Vorschlägen gearbeitet, um eine nachhaltige, also ökologisch und ökonomisch tragfähige sowie sozial verträgliche Landwirtschaft in Deutschland auch in Zukunft zu ermöglichen.
Bei der Pflanzenzüchtung müssten Schutzrechtssysteme und Lizenzstrukturen so ausgestaltet sein, dass sie allen Unternehmen den Zugang zu Techniken, Merkmalen und Zuchtmaterial ermöglichten, heißt es im Bericht weiter. Die fünf beteiligten Umwelt- und Naturschutzverbände sowie zwei gentechnikkritische Agrarverbände begrüßten diese Feststellungen. Weniger begeistert waren sie von der Behauptung des Berichts, neue gentechnische Verfahren könnten „zur effektiven Züchtung von Sorten beitragen, die dann ihrerseits zur Erreichung der Klima- und Umweltziele im Agrar- und Ernährungssystem beitragen“. Als „leere Versprechen für Klima und Landwirtschaft", kritisierte das Pia Voelker vom genethischen Netzwerk, das nicht in der Kommission mitgearbeitet hat. "Konventionelle Züchtungsverfahren sind bisher deutlich erfolgreicher, Pflanzen mit derart komplexen Eigenschaften zu erzeugen“, so Voelker.
Doch insgesamt dominiert die Freude darüber, im hochumstrittenen Feld der Agrarpolitik alte Gräben überwunden und sich einstimmig auf politische Kompromisse geeinigt zu haben. Die Gentechnik war dabei dem Vernehmen nach einer der umstrittensten Punkte. „Es ist uns in der Zukunftskommission Landwirtschaft gelungen, nicht die Positionen, sondern die Sache ins Zentrum zu stellen“, so Kai Niebert, Präsident des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring. „Das war das Geheimrezept für unseren Erfolg: Das gemeinsame Interesse daran, den Klimawandel zu bremsen, den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen und dabei eine vielfältige und zukunftsfähige Landwirtschaft zu ermöglichen.“
Auch der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz, Olaf Bandt, begrüßt, „dass die Zukunftskommission sich bei den neuen Gentechnikverfahren klar für das Vorsorgeprinzip und die daran ausgerichtete Regulierung ausspricht. Nur mit gesetzlich festgeschriebener Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit lassen sich Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher, Landwirtschaft sowie die Lebensmittelbranche sicherstellen, und ökologische Risiken vermeiden.“ „Mit dem Abschlussbericht liegt jetzt ein richtig guter Fahrplan vor, die Landwirtschaft nachhaltig und zukunftsfähig aufzustellen“, ergänzt Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Elisabeth Fresen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft bringt die gemeinsame Schlussfolgerung auf den Punkt: „Jetzt müssen wir uns zusammen stark dafür einsetzen, dass sich die zentralen Bestandteile des ZKL-Berichts in den Koalitionsvereinbarungen der neuen Bundesregierung wiederfinden.“ Alle drei Verbandsvertreter waren wie Niebert Mitglieder der Expertenkommission.
Aus der ZKL ausgestiegen war im März der geschäftsführende Vorstand der Umweltorganisation Greenpeace. Martin Kaiser bemängelte, dass Agrarministerin Julia Klöckner (CDU), die wie alle Ministeriumsvertreter in der Kommission Beobachterstatus hatte, die absehbaren Empfehlungen der ZKL durch ihre Gesetzgebung behinderte. „Die Zukunftskommission hat die notwendigen finanziellen Mittel für den ökologischen Umbau der Landwirtschaft auf 7 bis 11 Milliarden Euro veranschlagt“, hebt Kaiser jetzt hervor. Bei den Verhandlungen zur EU-Agrarreform habe Klöckner dem Gießkannenprinzip den Vorzug gegeben, statt Agrarsubventionen für Zukunftsaufgaben zu sichern. „Jetzt fehlt das Geld, das dringend gebraucht würde, um Landwirtinnen und Landwirte beim Schutz von Tieren, Artenvielfalt und Klima gezielt zu unterstützen“, kritisiert Kaiser.
Auch für die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast ist der ZKL-Bericht „auffällig konträr“ zur Politik der amtierenden Agrarministerin. Für Künast sind die Empfehlungen so kurz vor der Bundestagswahl Arbeitsauftrag für die kommende Legislaturperiode. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sprach ebenfalls von einem "neuen Aufbruch in der Agrarpolitik". Die Agrarministerin selbst bezeichnete den Kommissionsbericht dagegen als „Rückenwind“ für ihre Politik. Ob dieser Wind sie in die nächste Legislaturperiode tragen und ihr die Chance geben wird, an der Umsetzung mitzuarbeiten, bleibt offen. [vef]