Die Weltnaturschutzunion IUCN will in den nächsten drei Jahren eine breite interne Diskussion führen, ob Gentechnik und Gene Drives im Naturschutz eingesetzt werden sollen. Mit diesem Beschluss ist der Versuch gentechnikfreundlicher Organisationen, mit Artenschutz-Argumenten neuen gentechnischen Verfahren die Tür zu öffnen, vorerst abgewehrt.
Der 1948 gegründeten International Union for Conservation of Nature gehören über 1300 staatliche und nichtstaatliche Naturschutzorganisationn aus aller Welt an. Sie trafen sich Mitte September in Marseille zu ihrem Weltnaturschutzkongress und verabschiedeten dabei mit der Resolution Nummer 75 auch einen Fahrplan, um zu einer „IUCN-Politik zur synthetischen Biologie in Bezug auf den Naturschutz“ zu gelangen. Der Begriff synthetische Biologie umfasst dabei alle gentechnischen Verfahren, mit denen biologische Systeme künstlich konstruiert oder umgestaltet werden.
In der Resolution heißt es, dass es große Daten- und Wissenslücken sowie ungelöste ethische, soziale, kulturelle und ökologische Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung gentechnischer Veränderungen bei wild lebenden Arten gebe. Diese Ungewissheiten erforderten es, dass das Vorsorgeprinzip angewandt und auch bei der Positionierung der IUCN berücksichtigt werden müsse. Zudem sei bei den Beratungen über diese Technologien den Perspektiven, dem Wissen und den Rechten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften ein hoher Stellenwert einzuräumen.
Deutsche Naturschutzorganisationen lehnen gentechnische Verfahren einhellig ab. Doch es gibt einige IUCN-Mitglieder wie die Island Conservation aus Kalifornien, die gentechnische Verfahren einsetzen wollen, um bedrohte Arten zu schützen. Etwa um eingeschleppte Mäuse oder Ratten zu bekämpfen, die auf abgelegenen Inseln die dort heimische Vogelwelt dezimieren. Auf Hawaii wollen Ökologen bedrohte Vogelarten resistent gegen einen neu aufgetauchten Virus machen. Andere Artenschützer wollen in den USA pilzresistente Gentech-Kastanien aussetzen, um die amerikanische Esskastanie vor dem Aussterben zu bewahren. Im Focus solcher Pläne stehen sehr oft Gene Drives, weil mit diesem gentechnischen Vererbungsturbo künstliche Veränderungen in einem wildlebenden Bestand schnell durchgesetzt werden können.
Bereits auf dem letzten Weltnaturschutzkongress 2016 waren Gene Drives ein heiß diskutiertes Thema. Die Versammlung beschloss damals, einen Bericht zu den Auswirkungen von synthetischer Biologie und Gene Drives für den Schutz der Biodiversität zu erstellen. Auf dem Kongress 2020 – der pandemiebedingt auf 2021 verschoben wurde – sollte dann bereits eine Entscheidung fallen. Der IUCN installierte eine Arbeitsgruppe, die im Mai 2019 ihren Bericht veröffentlichte. Zahlreiche IUCN-Mitglieder sowie Naturschutz- und Entwicklungsorganisationen aus aller Welt kritisierten ihn als einseitig. Die kanadische Nichtregierungsorganisation ETC Group stellte fest, dass die Mehrzahl der Autoren des Berichts Befürworter der Gentechnik seien und zum Teil wirtschaftliche Eigeninteressen bei diesem Thema hätten.
Aufgrund dieser geballten Kritik entstand schließlich der nun in Marseille verabschiedete Resolutionsentwurf. In den darin beschlossenen breiten Diskussionsprozess setzt Mareike Imken von Stop Gene Drives große Hoffnungen. Er werde das Bewusstsein der IUCN-Mitglieder dafür schärfen, „dass der Eingriff in die natürlichen Evolutionsregeln durch die Anwendung der Gene-Drive-Technologie eine neue Dimension des Eingriffs in die natürliche Welt darstellt und deren irreversible Veränderung mit sich bringt.“ [lf]