Mit seiner Stellungnahme zur EU-Lebensmittelstrategie hat das Europäische Parlament auch einen Absatz zu neuen gentechnischen Verfahren verabschiedet. Er deutet an, dass die Parlamentarier den gentechnikfreundlichen Kurs der Kommission kritisch sehen, sich mehr Vorsorge und eine transparente Kennzeichnung wünschen. Deutlichere Worte hat das deutsche Bundesamt für Naturschutz gefunden. Es erklärt in einem Positionspapier, warum auch neue gentechnische Verfahren reguliert werden müssen.
Bereits Ende letzten Jahres hatte die EU-Kommission ihre Lebensmittelstrategie Farm to Fork (deutsch: Vom Hof auf den Tisch) vorgestellt. Das Europaparlament hat sich am Dienstag mit 452 zu 170 Stimmen bei 76 Enthaltungen hinter die Pläne der Kommission gestellt. Im Vorfeld hatten Lobbyverbände der Agrarindustrie, allen voran der europäische Bauernverband Copa-Cogeca, gezielt versucht, bei Abgeordneten Stimmung gegen die EU-Strategie zu machen. Ihr Ziel war es, konkrete Zahlen- und Zeitangaben etwa bei der Pestizidreduktion zu verhindern. Die Parlamentarier ließen sich davon nicht beeindrucken und stärkten die Position der Kommission.
In einem Punkt jedoch machten sie sehr diplomatisch deutlich, dass sie die Haltung der Kommission nicht teilen. Diese will neue gentechnische Verfahren deregulieren, weil sie – so glaubt die Kommission – zu einer nachhaltigeren und klimaangepassten Landwirtschaft im Sinne ihrer Farm to Fork-Strategie beitragen. Die Parlamentarier nehmen in Punkt 36 ihrer Stellungnahme diese Haltung lediglich „zur Kenntnis“. Anschließend „betonen“ sie „das Vorsorgeprinzip und die Notwendigkeit, Transparenz und Wahlfreiheit für Landwirte, Verarbeitungsbetriebe und Verbraucher sicherzustellen“. Ebenso wird „betont“, dass die geplanten Maßnahmen der Kommission Risikobewertungen sowie „Optionen für die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung umfassen sollten“. Den Verbrauchern müssten „relevante Informationen, auch in Bezug auf Erzeugnisse aus Drittländern“ zur Verfügung gestellt werden. Die Formulierungen lassen darauf schließen, dass eine Mehrheit der Abgeordneten den Deregulierungsplänen – über die sie mit zu entscheiden haben – skeptisch gegenüber steht.
Deutlich wurde dies auch bei einer anderen Abstimmung in dieser Parlamentswoche, bei der die Abgeordneten zur EU-Strategie zur Verringerung von Methanemissionen Stellung nahmen. Im Entwurf der Stellungnahme befand sich ebenfalls als Punkt 36 eine sehr gentechnikfreundliche Formulierung. Die Abgeordneten sollten sich „ausdrücklich“ der Erkenntnis anschließen, dass neue gentechnische Verfahren zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem beitragen könnten. Zudem sollten sie fordern, „dass der Rechtsrahmen für diese Biotechnologien an die neuesten wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen angepasst wird.“ Doch die Mehrheit der Abgeordneten wollte das nicht. Sie ersetzten den Passus mit 425 zu 217 Stimmen bei 52 Enthaltungen durch die Formulierung aus ihrer Farm to Fork-Stellungnahme.
Das deutsche Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat in einem englischsprachigen Positionspapier erläutert, warum es eine Deregulierung neuer gentechnischer Verfahren (NGT) ablehnt. Es geht auf die Risiken dieser Verfahren ein und kommt zu dem Schluss, „dass Pflanzen, die sowohl durch gerichtete Mutagenese als auch durch Cisgenese erzeugt wurden, ein ähnliches, wenn nicht sogar größeres Risikopotenzial aufweisen als die bisher durch Gentechnik erzeugten Pflanzen.“ Zu den Nachhaltigkeitsversprechen der NGT merkt die Behörde an, dass derzeit nur wenige NGT-basierte Pflanzen vor der Markteinführung stünden. „Darüber hinaus bleibt unsicher, inwieweit neue, durch NGTs entwickelte Pflanzensorten tatsächlich zur Ernährungssicherheit, zum Erhalt der biologischen Vielfalt oder zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel beitragen können“. Auf jeden Fall bräuchte es für entsprechende Pflanzen eine „verpflichtende Nachhaltigkeitsanalyse“, die den Nutzen für die Gesellschaft oder die Umwelt nachweist. [lf]