In der ersten Ampelkoalition auf Bundesebene werden die Grünen das Landwirtschaftsministerium, das Umweltressort sowie das neu gestaltete Ministerium für Wirtschaft und Klima besetzen. Das sieht der Entwurf eines Koalitionsvertrags vor, den SPD, Grüne und FDP heute vorstellten. Er muss noch von den Parteigremien verabschiedet werden. Das Konfliktthema Agrogentechnik wurde kaschiert.
Wie berichtet hatten sich SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen gegen den Einsatz von (neuer) Gentechnik in der Landwirtschaft ausgesprochen, die Liberalen dafür. Im Abschnitt Landbau der Koalitionsvereinbarung soll es jetzt heißen: „Die Züchtung von klimarobusten Pflanzensorten wollen wir unterstützen. Dazu verbessern wir die Rahmenbedingungen auch für Populationssorten, fördern Modellprojekte wie Crowd-Breeding, Digitalisierung, stellen Transparenz über Züchtungsmethoden her und stärken die Risiko- und Nachweisforschung.“
Diese Formulierungen vermeiden, ebenso wie der von CDU-Agrarministerin Julia Klöckner geprägte Begriff der „neuen molekularbiologischen Züchtungstechniken“, das Wort Gentechnik. Zugleich lassen sie einigen Interpretationsspielraum. Die Grünen können unter „Transparenz über Züchtungsmethoden“ ihre Forderung subsumieren, dass gentechnisch veränderte Pflanzen gekennzeichnet und damit rückverfolgbar sein müssen, selbst wenn sie mit neuen gentechnischen Verfahren wie Crispr/Cas nur punktuell verändert wurden. Die Risikoforschung, die gestärkt werden soll, kann sich natürlich auch mit den Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen für Gesundheit und Umwelt befassen. Und Nachweismethoden für Produkte neuer gentechnischer Verfahren fordert die Ökopartei seit 2018 vehement, nachdem der Europäische Gerichtshof klargestellt hatte, dass diese nach Gentechnikrecht in Europa genehmigt werden müssen.
Dass die Grünen beide zuständigen Ministerien besetzen werden – Landwirtschaft wie Umwelt – erhöht die Chancen, dass diese Interpretationen den Weg in die praktische Politik finden. Mit einem – wie das Handelsblatt spekuliert – Agrarminister Anton Hofreiter und einer Umweltministerin Steffi Lemke sollten die Grabenkämpfe zwischen den beiden Ministerien, wo sich in Groko-Zeiten Agrar- (CDU) und Umweltressort (SPD) gegenseitig blockierten, der Vergangenheit angehören. Und noch ein Punkt spricht für eine gentechnikkritische Interpretation des Vertragswerks: das klare Bekenntnis zum ökologischen Landbau. 30 Prozent Flächenanteil bis zum Jahr 2030 ist die Vorgabe. Dabei müssen Bioprodukte grundsätzlich gentechnikfrei produziert werden.
Einen Trumpf hat allerdings auch die gentechnikfreundliche FDP im Spiel: das Forschungsministerium. „Wir wollen in allen Anwendungsgebieten biotechnologischer Verfahren forschen und die Ergebnisse nutzen“, heißt es im Vertragsentwurf der Ampelkoalition. Das schließt nach liberaler Lesart sicher auch die Erforschung neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas, Talen und Co. mit ein. Was die Nutzung in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion angeht, müsste man sich dann mit den grünen Kollegen von Agrar- und Umweltressort verständigen. Womöglich wird künftig hier eine Konfliktlinie verlaufen. [vef]