Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird sich noch einmal mit der Zulassung neuer gentechnischer Verfahren befassen. 80 europäische Landwirtschafts- und Umweltorganisationen verlangten deshalb von der EU-Kommission, sie solle ihre Pläne, das Gentechnikrecht zu deregulieren, vorerst auf Eis legen und die EuGH-Entscheidung abwarten. EU-Parlamentarier forderten die Kommission parteiübergreifend auf, endlich Risikoforschung und Nachweisverfahren zu neuen gentechnischen Verfahren zu fördern.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich nach seinem Urteil von 2018 erneut mit der Zulassung neuer gentechnischer Verfahren beschäftigen. Das oberste französische Verwaltungsgericht, der Conseil d’Etat, hat im November 2021 dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Diese zielen darauf ab, offene Punkte aus der Entscheidung von 2018 zu klären. Bereits das damalige Verfahren wurde von Fragen des Conseil d’Etat ausgelöst.
In einem Schreiben wiesen mehr als 80 Organisationen die zuständigen EU-Kommissare auf dieses anstehende Verfahren hin und forderten sie auf, die Kommissionspläne für eine Änderung des Gentechnikrechts zurückzustellen, bis eine Entscheidung des EuGH vorliege. Die vorgelegten Fragen beträfen nicht nur die Anwendung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18, sondern auch Grundprinzipien des EU-Rechts, wie das Vorsorgeprinzip, heißt es in dem Schreiben. Sollte die Kommission vorpreschen, riskiere sie, einen Vorschlag vorzulegen, der nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Deshalb sollte sie „unter Beachtung der Gewaltenteilung“ die Entscheidung des EuGH abwarten und sie anschließend in ihren Vorschlag einbeziehen. Wann der EuGH die Fragen aus Frankreich beantwortet, ist offen. Beim letzten Verfahren dauerte es zwei Jahre.
Konkret geht es laut dem Schreiben in den beiden vorgelegten Fragen darum, ob es ausreicht, nur die gentechnische Veränderung zu betrachten und ansonsten davon auszugehen, dass die veränderte Pflanze sich substanziell nicht von Pflanzen aus traditionellen Züchtungsverfahren unterscheide. So argumentieren Befürworter einer Deregulierung gerne. Oder muss die gesamte gentechnisch veränderte Pflanze betrachtet werden, einschließlich aller ungewollten Veränderungen, die sich aus dem angewandten gentechnischen Verfahren ergeben und Risiken für die Gesundheit, die Umwelt und die landwirtschaftlichen Systeme mit sich bringen könnten. Verbunden damit sehen die Organisationen die Frage, ob sich die Risken neuer gentechnischer Pflanzen ausschließlich mit Laborergebnisssen bewerten lassen oder ob es dafür Freisetzungen unter realistischen Anbaubedingungen brauche.
Wegen der Risikobewertung neuer gentechnischer Verfahren haben sich 31 Abgeordnete aus fünf Fraktionen des Europäischen Parlaments an die EU-Kommission gewandt. Sie kritisierten, dass die EU bislang keine Forschungsprojekte fördere, die sich gezielt mit den Risiken und Nachweisverfahren für die Neue Gentechnik befassen würden. Statt dessen habe die Kommission in vier Jahren 271 Millionen Euro ausgegeben, um die Verfahren und ihre Anwendung voranzutreiben. „Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die EU viele Millionen in die Entwicklung der Neuen Gentechnik steckt, doch keinerlei Forschung zu ihren Risiken für Umwelt und Gesundheit beauftragt“, sagte der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling, der den Vorstoß initiierte. Auch die EU-Mitgliedsländer würden nur 1,6 Prozent ihrer Forschungsbudgets zur neuen Gentechnik in die Bereiche Risikobewertung und Nachweisverfahren stecken, monierte Häusling. Dabei lasse sich mit Verfahren wie CRISPR/Cas das Erbgut von Pflanzen tiefgreifender und schneller modifizieren als das mit konventioneller Züchtung oder den Verfahren der alten Gentechnik möglich sei. [lf]