Die Europäische Kommission will die Regeln für neue Gentechnik in der Landwirtschaft reformieren. Dazu befragte sie diesen Sommer rund 400 ausgewählte Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu möglichen Folgen. Mehrere gentechnikkritische Initiativen rügten die Befragung als intransparent, voreingenommen und unwissenschaftlich und lehnten es ab teilzunehmen. Die EU-Kommission wies die Vorwürfe zurück.
Ende Juli hatte das Politikberatungsunternehmen "Technopolis Group" im Auftrag der EU-Kommission einen 53-seitigen Fragebogen an ausgewählte Stakeholder verschickt. Er enthielt mehrere Szenarien, wie das Gentechnikrecht zugunsten neuer gentechnischer Verfahren (NGT) umgestaltet werden könnte. Diese sähen vor, Risikobewertung und Rückverfolgbarkeit ebenso abzuschaffen wie Kennzeichnungs- und Nachweispflicht, kritisierte die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). „Neue Gentechnik-Pflanzen wären nicht mehr erkennbar und sie kämen ungeprüft und unreguliert auf europäische Äcker und Teller“, beschrieb AbL-Gentechnik-Expertin Annemarie Volling die Folgen.
Der verschickte Fragebogen soll die Grundlage schaffen für die im EU-Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Folgenabschätzung. Dafür sollten die Stakeholder mögliche Auswirkungen der Kommissionsszenarien für den Zeithorizont von 2030 bis 2035 abschätzen. Das sei ein höchst fragwürdiger Ansatz, schrieb ENGA, der europäische Verband der gentechnikfreien Lebensmittelwirtschaft, an die Kommission. Eine solche Sammlung von Meinungen über unsichere zukünftige Entwicklungen „kann kaum als Folgenabschätzung bezeichnet werden und kann auch keine wissenschaftlichen Analysen und Modellierungen ersetzen“, heißt es in dem Schreiben. Ebenso wie ENGA lehnte es auch das Institut Testbiotech ab, sich befragen zu lassen. „Die Konsultation scheint weitgehend auf Phantasie und Spekulationen zu beruhen,“ schrieb das Institut an die Technopolis Group. Es fehlten die notwendigen Daten, um mögliche Auswirkungen vergleichen zu können und ein potenzieller Nutzen von NGTs werde bereits als Tatsache dargestellt. Die britische Organisation GMWatch nannte die Befragung voreingenommen. Sie scheine „der Auffassung der Kommission zu folgen, dass Deregulierung notwendig und wünschenswert ist“. GMWatch gab der Kommission ebenso einen Korb wie der europäische Bauernverband Via Campesina und Friends of the Earth Europe.
Die Organisationen kritisierten auch, dass der Fragebogen nur an ausgewählte und nicht genannte Stakeholder verschickt worden sei. Zudem seien die darin enthaltenen Szenarien in der am 22. Juli beendeten öffentlichen Konsultation zu den Deregulierungs-Plänen der Kommission noch verschwiegen worden. „Dabei wäre jeder EU-Bürger von einer Absenkung der Standards für Lebensmittelsicherheit und Transparenz betroffen“, schrieb ENGA. Unisono forderten die Organisationen deshalb eine erneute öffentliche Konsultation und eine neue, wissenschaftlich solide Folgenabschätzung.
Auch die Lobbywächter von Corporate Europe Observatory hatten der Kommission eine Absage geschickt und äußerten den Verdacht, dass wie bei früheren Gelegenheiten vor allem Industrievertreter gehört würden. In seiner Antwort darauf wies Klaus Berend, Geschäftsführender Direktor der EU-Generaldirektion Gesundheit, die Vorwürfe zurück. Die Kommission entwickle politische Vorschläge „in einem inklusiven und transparenten Prozess, in dem alle Interessengruppen willkommen sind und ermutigt werden, sich zu beteiligen“. Der Fragebogen sei an fast 400 Organisationen gegangen, deren Namen veröffentlicht würden, wenn die Befragung beendet sei. Berend wiederholte einmal mehr, dass die Kommission erst über einen möglichen neuen Rechtsrahmen entscheiden werde, wenn die Folgenabschätzung abgeschlossen sei.
Für Annemarie Volling dagegen sind die Pläne der EU-Kommission längst beschlossene Sache. Sie forderte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesumweltministerin Steffi Lemke auf, „bei der EU-Kommission Transparenz einzufordern“ und „sich klar für eine Regulierung aller neuen und alten Gentechnik-Verfahren einzusetzen“. Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums sagte dazu dem Landwirtschaftlichen Wochenblatt: „Kennzeichnung, Transparenz und die einzelfallbezogene Risikobewertung in einem Zulassungsverfahren müssen auch in Zukunft sichergestellt bleiben.“ Außerdem seien die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen des Einsatzes von Gentechnik abzuschätzen, zum Beispiel auf den Ökolandbau. Der Deutsche Bauernverband hingegen plädierte gegenüber dem Wochenblatt dafür, auf eine Pflicht zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit für NGT zu verzichten. [lf]