Die Denkfehler der Gentechnik standen gestern im Mittelpunkt einer Anhörung im Deutschen Bundestag zu „neuen genomischen Techniken“ auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Den wechselnden Wetterkatastrophen, die die aktuellen Veränderungen unseres Klimas mit sich brächten, könne man nicht erfolgreich entgegentreten, indem man einzelne Gene von Pflanzen ändere, klärte eine Expertin für ökologische Agrarwissenschaft auf. Entscheidend sei das vielfältige Zusammenspiel von Pflanzen, Mikroorganismen und Ackerboden.
„Es sind fruchtbare Böden, die rasch Wasser aufnehmen und speichern können, die darüber entscheiden, ob Trockenphasen durchgehalten werden und Starkregenereignisse nicht zu Überflutungen führen“, schreibt Maria Finckh von der Uni Kassel in ihrer Stellungnahme. Das hätten die Antragsteller der Oppositionsfraktion nicht verstanden, wenn sie in ihrem Antrag behaupteten, dass sich bei plötzlichen Auswirkungen des Klimawandels mithilfe neuer gentechnischer Verfahren wie Crispr/Cas (NGT) „deutlich kurzfristiger eine angepasste Pflanzensorte züchten“ ließe. CDU und CSU fordern darin die Bundesregierung auf, sich für eine Reform des EU-Gentechnikrechts einzusetzen. NGT sollten außerhalb des Gentechnikrechts geregelt werden, wenn die erzielten Pflanzenmerkmale auch mit konventionellen Methoden erreicht werden könnten.
Paradoxerweise stellen sich die Unionsparteien damit gegen große Teile der Lebensmittelwirtschaft. Die Regeln für NGT „aufzuweichen, wäre nicht nur ein Risiko für Umwelt und Gesundheit, sondern würde auch die Bio- und konventionelle ,Ohne Gentechnik‘-Lebensmittelwirtschaft existenziell gefährden, die zusammen in Deutschland für fast 30 Milliarden Euro Umsatz stehen“, warnte der Geschäftsführer des Verbands Lebensmittel ohne Gentechnik, Alexander Hissting. Auch beim europäischen Schwesterverband ENGA ist man besorgt: Nahezu der gesamte EU-Lebensmittelsektor habe sich bei einer Befragung der EU-Kommission zu NGT dafür ausgesprochen, die geltende Risikobewertung beizubehalten und Gentechnikbestandteile im Endprodukt mit einem Label zu kennzeichnen.
Auf einen weiteren wirtschaftlichen Aspekt wies die freiberufliche Gutachterin Eva Gelinsky hin: Für NGT-Entwicklungen würden Unmengen von Patenten beantragt und vergeben – unter Vorwand auch auf konventionell gezüchtete Pflanzen, für die das eigentlich verboten sei. Diese Patente führten bei den Züchtern zu Rechtsunsicherheit, obwohl aktuell nichts wichtiger wäre als viele neue Sorten. Stattdessen verstärkten die Patente die bereits vorhandene Konzentration der Großkonzerne auf dem Saatgutmarkt. Ein Potential für klimaangepasste Sorten sieht Gelinsky in den Entwicklungspipelines der Großkonzerne derzeit nicht. Erste NGT-Pflanzen hätten sich bereits als „Flop“ erwiesen.
Dass die neuen Technologien für kleinere Züchter nur dann kostengünstig sind, wenn die Patentlizenzen erschwinglich sind, räumte auch Nicolaus von Wirén vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung ein. In seinen Augen überwiegen die Vorteile der NGT jedoch mögliche Nachteile. „Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es keinen Grund, über NGT erzeugte Pflanzen anders zu bewerten als solche, die über spontane oder ungerichtet induzierte Mutagenese erzeugt wurden“, so von Wirén. Und letztere werde im europäischen Gentechnikrecht als sicher betrachtet. Dementsprechend plädierte der Rechtsexperte Hans-Georg Dederer von der Uni Passau dafür, Produkte neuer Gentechnik per Gesetz nicht als gentechnisch veränderte Organismen zu definieren, sofern nur eine solche Kombination von genetischem Material vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungsverfahren ergeben könnte. Und damit das nicht einzelne (etwa ampelregierte?) EU-Mitgliedsstaaten wieder aushebeln können, müsse das europarechtlich ebenfalls ausgeschlossen werden.
Die Kanzlerpartei SPD zeigte sich davon wenig beeindruckt. Die Anhörung habe den Kurs der SPD-Bundestagsfraktion im Umgang mit neuen Gentechniken bestätigt, verkündete die Berichterstatterin Rita Hagel-Kehl im Anschluss. „Als SPD-Fraktion stehen wir dafür ein, dass die Regelungen der EU-Freisetzungsrichtlinie weiterhin ohne Ausnahme für neue Gentechniken gelten.“ Sie plädierte für eine umfassende Technikfolgenabschätzung, die neben den Risiken und Potenzialen einzelner Anwendungen auch die ökologischen, sozioökonomischen und gesundheitlichen Gesamtzusammenhänge und die möglichen Alternativen betrachtet. Die Europäische Kommission will 2023 einen Vorschlag vorlegen, wie NGT in Europa künftig geregelt werden sollen. ]vef]