Die morgige Hauptversammlung wird für Bayer-Vorstandschef Werner Baumann nach 35 Jahren im Unternehmen die letzte sein. Am 1. Juni übernimmt sein Nachfolger, der US-amerikanische Manager Bill Anderson. In seiner vorab veröffentlichten Rede lobt Baumann das Unternehmen mit seiner „enormen Innovationskraft, innovativen Produkten und Technologien“. Doch der Infodienst stieß bei seinen Recherchen zu gentechnischen Neuentwicklungen vor allem auf pestizidresistente und schädlingstötende Mais-, Soja- und Baumwollpflanzen. Und Bayers Hoffnungsträger stammt aus konventioneller Züchtung.
Auf den Markt brachte Bayer beim gentechnisch veränderten (gv) Saatgut in den letzten Jahren vor allem Mais, Soja und Baumwolle mit zusätzlichen Erbgutveränderungen (Traits), um Insekten zu töten oder weiteren Pestiziden zu widerstehen. Dadurch sollen die Landwirte mit den zunehmenden Resistenzen bei Schädlingen und Unkräutern besser zurechtkommen. Für die Anbausaison in diesem Frühjahr bietet Bayer US-Farmern erstmals eine gv-Baumwolle an, die auch Gifte gegen Wanzen und Thripse produziert. Die neueste Maisvariante VT4PRO, die kurz vor der Markteinführung in den USA steht, hat das Ziel, den Maiswurzelbohrer besser zu bekämpfen.
Danach kommen in der Pipeline drei Entwicklungen, von denen zwei zugekauft wurden. Die größten Hoffnungen setzt der Konzern in einen Kurzhalm-Mais, der die ersten Feldversuche bereits hinter sich hat. Die Pflanze soll Unwettern und Stürmen besser widerstehen und dadurch Ernteausfälle verhindern. Sie „steht nun kurz vor der Markteinführung in Nordamerika“, heißt es in Baumanns Rede. Verkauft werden soll sie den Landwirten im Paket mit „angepassten und datengesteuerten Empfehlungen bezüglich der Bepflanzungsdichte, der Platzierung auf dem Feld und der Produktausbringung“, steht auf einer Bayer-Webseite, die das Ganze als „Smart Corn System“ anpreist. Über die Entstehung dieser Mais-Hybride schreibt der Konzern auf seiner Seite über Genom-Editierung: „Wir gehen an den Short Stature Corn (so heißt der Kurzhalm-Mais auf Englisch, Anm. der Redaktion), mit verschiedenen technologischen Ansätzen heran, einschließlich Züchtung (derzeit in Phase drei), Genom-Editierung (Entdeckungsphase) und Biotechnologie (ebenfalls in Phase drei, in Kooperation mit BASF).“ Bei der Linie, die nächstes Jahr auf den Markt kommen soll, handelt es sich laut Bayer um herkömmliche Züchtung.
Ist der Mais geerntet, könnten die Landwirte eine neue Zwischenfrucht säen, ein gentechnisch verändertes Acker-Hellerkraut. Die einjährige Winterpflanze wurde so verändert, dass sich das Öl ihrer Samen für die Biodieselherstellung verwenden lässt und der Presskuchen verfüttert werden kann. CCI heißt das Unternehmen, das die gv-Pflanze als CoverCress auf den US-Markt bringen will. Im August 2022 kaufte Bayer 65 Prozent von CCI, der Rest gehört dem Agrarhandelskonzern Bunge und dem Mineralölkonzern Chevron. Im Moment sucht CCI Landwirte in den USA für Demonstrationsversuche, die im Herbst 2023 beginnen sollen.
Die dritte Entwicklung des Konzerns ist noch weit vom Acker entfernt. Zusammen mit dem US-Biotechnologieunternehmen Ginkgo Bioworks arbeitet Bayer bereits seit 2017 an geneditierten Mikroben, mit deren Hilfe Getreide seinen Stickstoffbedarf selbst und ohne Dünger decken soll. Bisher können das nur sogenannte Knöllchenbakterien in den Wurzeln bestimmter Pflanzen wie Klee, Luzerne oder Bohnen.
Bayer arbeitet auch mit Pairwise zusammen, einem US-Unternehmen, das sich auf Crispr-Anwendungen in Nahrungspflanzen spezialisiert hat. Man habe in der Anbausaison 2022 „eine Rekordzahl von Mais- und Sojasorten getestet, die einen Nachhaltigkeitsvorteil versprechen“, heißt es in einer Mitteilung der beiden Unternehmen. „Sowohl Landwirte als auch Verbraucher könnten noch in diesem Jahrzehnt von den Vorteilen dieser neuen Sorten profitieren“, versprechen Bayer und Pairwise. Genauer gehen sie jedoch nicht auf diese Entwicklungen ein.
Doch solche Details werden auf der Hauptversammlung morgen keine Rolle spielen. Dort richten sich die Hoffnungen auf den Neuen, auf Bill Anderson vom Pharma-Mitbewerber Roche, der dort nicht Vorstandschef wurde und deshalb zu Bayer wechselte. Er soll nun „das ganze Potenzial von Bayer entfalten“, wie es Aufsichtsratschef Winkeljohann ausdrückt. Da gibt es viel zu tun, schließlich hat der von seinem Vorgänger zu verantwortende Monsantokauf den Wert des Unternehmens halbiert. Und Tausende Klagen, vor allem wegen Pestizidschäden, sind noch bei US-Gerichten anhängig. „Wir arbeiten diese Rechtskomplexe systematisch ab“, wird Werner Baumann morgen bei der Hauptversammlung sagen. Das Geld dafür liegt bereits auf der hohen Kante. [lf]