Die EU-Kommission argumentiert, mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellte Pflanzen könnten helfen, Pestizide einzusparen. Einer Analyse der Verbraucher:innenorganisation Foodwatch zufolge gibt es dafür keine belastbaren Daten. Sie forderte deshalb zusammen mit den Umweltorganisationen BUND und Global 2000 eine „echte Pestizidreduktion statt leerer Gentech-Versprechen“.
Dass Gentechnik-Pflanzen dabei helfen könnten, den Pestizideinsatz zu reduzieren, ist für Foodwatch-Pestizidexperte Lars Neumeister bislang nur eine Behauptung der Agrarindustrie. Konkrete Zahlen über ein solches Potenzial der Neuen Gentechnik habe die Europäische Union bislang nicht veröffentlicht. „Keine der aktuellen Forschungsübersichten veröffentlichte Daten darüber, wie viele Pestizidbehandlungen bei einer bestimmten gentechnisch veränderten Kulturpflanze potenziell eingespart werden könnten“, schreibt Neumeister in seiner Analyse. Zudem beträfen die bekannten Forschungsarbeiten keine großen „Pestizidverbraucher“ in Europa: „Entweder hat die Anbaufläche einen geringen Anteil (Gurke, Tomate, Sommerweizen, Zitrusfrüchte) und/oder der Erreger ist nicht die Hauptursache für den Pestizideinsatz bei dieser Kultur“, heißt es in der Analyse. „Wenn es um die Reduzierung von Pestiziden in der Europäischen Union geht, ist das Potenzial der Neuen Gentechnik derzeit nahezu gleich Null“, lautet deshalb Neumeisters Fazit.
Als weiteres Risko sieht er, dass NGT-Pflanzen „den Verlust der genetischen Vielfalt beschleunigen, insbesondere wenn die Gentechnik unter der Kontrolle einiger weniger globaler Pestizid- und Saatgut-Konzerne ist“. Eine höhere genetische Uniformität mache die Pflanzen anfälliger und führe wiederum dazu, dass mehr und gefährlichere Pestizide eingesetzt würden. Zudem würden Großkonzerne NGT nutzen, „um Saatgut über Patente/Sortenschutz zu kontrollieren und die landwirtschaftlichen Betriebe zu 100 Prozent von den Unternehmen abhängig zu machen“, schreibt Neumeister.
Die grundsätzliche Frage sei, ob sich die Gesellschaft auf neue, risikoreiche Technologien einlassen wolle, obwohl es für die meisten Schädlings- und Krankheitsprobleme bereits technische Lösungen mit geringem Risiko gebe, heißt es in der Analyse. So könnten etwa im Getreideanbau „fast alle Schädlinge, Unkräuter und Krankheiten durch eine breitere und vielfältigere Fruchtfolge verhindert werden“, wie sie die Leitlinien für den integrierten Pflanzenschutz vorsehen. Diese schreiben vor, dass die Landwirt:innen erst präventive Maßnahmen ergreifen und Nützlinge einsetzen, bevor sie als letzte Möglichkeit zu synthetischen Pestiziden greifen. Doch in der Praxis werden diese Leitlinien oft nicht umgesetzt.
Für Pia Völker vom BUND sind eine große Vielfalt auf den Feldern und lokal angepasste, robuste Sorten der Schlüssel für eine Landwirtschaft, die effektiv dazu beiträgt, die Klimakrise und die Biodiversitätskrise zu bewältigen. “Mit weniger oder sogar ohne chemisch-synthetische Pestizide zu arbeiten ist möglich – das zeigt der ökologische Landbau“, sagte Völker bei der Präsentation der Analyse. Für Brigitte Reisenberger von Global 2000 war bei dem Termin klar: „Für eine resiliente, vielfältige und klimaangepasste Landwirtschaft und die Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion für die nächsten Generationen, braucht es eine starke, gesetzlich verankerte Pestizidreduktion und eine weiterhin strenge Regulierung und Risikoprüfung von neuen Gentechnik-Pflanzen.”
Den Zusammenhang zwischen Pestizidreduktion und NGT hatte zuletzt EU-Vizepräsident Frans Timmermans hergestellt. Eigene Regeln für NGT – wie sie die Kommission plane – seien nur vermittelbar, wenn diese einen Umweltnutzen wie die Reduktion von Pestiziden hätten, sagte er vor dem Agrarausschuss des Europaparlaments. Am 5. Juli will die Kommission nach derzeitiger Planung ihren NGT-Vorschlag vorstellen. Bis dahin hat der EU-Vizepräsident also noch Zeit, belastbare Daten für diesen behaupteten Umweltnutzen von NGT zu finden. [lf]