Schild am Eingang eines Gerichts in Newcastle (Foto: smlp.co.uk, https://bit.ly/3TJJODo, creativecommons.org/licenses/by/2.0)

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Neue Gentechnik: US-Regeln strenger als EU-Vorschlag

Die Europäische Kommission geht mit ihren vorgeschlagenen Lockerungen für neue gentechnische Verfahren (NGT) weit über das hinaus, was in den USA und England Gesetz ist. Ein wichtiger Grund dafür ist die großzügige und wissenschaftlich nicht begründbare Definition einer NGT-Pflanze im Kommissionsvorschlag. Doch es gibt noch weitere Unterschiede.

Die Begründung der Gesetze in den USA, Großbritannien und der Europäischen Union ist die gleiche: Gentechnisch veränderte Pflanzen, die auch durch Zucht oder zufällige Mutation hätten entstehen können, sollen schnell auf den Markt kommen können. In den USA gibt es deshalb eine Regelung, wonach Unternehmen, die eine NGT-Pflanze entwickelt haben, bei der Gentechnikbehörde APHIS des US-Landwirtschaftsministeriums eine Freistellung von deren Zulassungsregeln erhalten können. Doch eine solche Ausnahme erteilt die APHIS nur für eine einzelne Veränderung. Die EU-Kriterien dagegen erlauben bei einer NGT-Pflanze bis zu 20 Veränderungen. So könnte eine Pflanze, die an drei Stellen bearbeitet wurde, in der EU künftig als NGT zugelassen werden, in den USA jedoch nicht, schreiben Anwält:innen der Kanzlei Morrison & Foerster in einem Fachartikel. Dabei verweisen sie auf eine Klarstellung der APHIS von 2022. Darin heißt es: „Im Allgemeinen erlauben mehrere Veränderungen, die gleichzeitig an ein und derselben gentechnisch veränderten Pflanze vorgenommen wurden, keine Ausnahme gemäß § 340.1.“ Die Unternehmen könnten jedoch Pflanzen mit einzelnen freigegebenen Veränderungen miteinander kreuzen, schlägt die APHIS vor. Die Nachkommen aus einer solchen Züchtung bräuchten dann keine eigene Zulassung mehr. Das Fazit der US-Fachanwält:innen: Die EU-Kommission will NGT-Pflanzen „eine breitere Basis von Ausnahmen“ gewähren, als es das US-Recht bereits tut.

Das im März 2023 verabschiedete britische Genetic Technology (Precision Breeding) Bill (dt. etwa Gesetz zur gentechnischen Präzisionszüchtung) gilt derzeit nur in England. Es bleibt in seiner Definition vage und gibt nur vor, dass jedes durch NGT entstandene Merkmal „auch durch traditionelle Verfahren hätte entstehen können“. Zwar stehen die Ausführungsbestimmungen für das Gesetz noch aus. Doch bereits Anfang 2022 hatte die britische Regierung den Versuchsanbau von NGT-Pflanzen erleichtert, „die durch traditionelle Züchtungstechniken erzeugt worden oder durch natürliche Prozesse entstanden sein könnten“. Im April 2022 hatte die Regierung in Leitlinien diese Pflanzen genauer definiert. Dort ist vor allem von einzelnen Eingriffen die Rede. Sorgfältig geprüft werden müssten Fälle, „in denen mehrere gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Bearbeitungen vorgenommen wurden, die genau aufeinander abgestimmt sind“, heißt es in der Leitlinie. Denn diese könnten zu einem Merkmal führen, das „vernünftigerweise durch natürliche Prozesse oder traditionelle Methoden nicht entstehen könnte“. Dafür gäbe es dann auch keine Ausnahme. Eine solche Einschränkung sieht der EU-Vorschlag nicht vor.

Neben der großzügigen Definition von NGT-Pflanzen gibt es weitere Unterschiede. Im US-Recht ist die Zulassung einer Gentech-Pflanze dreigeteilt. Die APHIS prüft nur die landwirtschaftliche Seite. Für mögliche Umweltrisiken ist ein eigenes Verfahren bei der US-Umweltbehörde EPA notwendig. Soll die NGT-Pflanze als Lebensmittel auf den Markt kommen, braucht sie zudem noch eine Zulassung durch die Lebensmittelbehörde FDA. Zwar ist diese Konsultation freiwillig, angesichts des strengen US-Haftungsrechts verzichtet jedoch kaum ein Unternehmen darauf. In den USA muss eine NGT-Pflanze also weitere Prüfverfahren durchlaufen, die nicht nur für NGT, sondern für alle gentechnisch veränderten Pflanzen gelten. In der EU wäre dies mit dem Kommissionsvorschlag nicht der Fall.

Die in den USA seit Anfang 2020 vorgeschriebene Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln gilt nicht für gentechnische Änderungen, die auch in der Natur vorkommen könnten. „Da das US-Landwirtschaftsministerium diese Begriffe jedoch nicht definiert, umfasst die Kennzeichnungspflicht für biotechnologisch veränderte Lebensmittel in den USA mehr Lebensmittel als die (vorgeschlagenen) Kennzeichnungsvorschriften der EU“, schreiben die Anwält:innen von Morrison & Foerster. Zwar beziehen sie sich in ihren Ausführungen auf den geleakten EU-Entwurf vom Juni. Die genannten Regelungen sind jedoch im offiziellen Entwurf der EU-Kommission vom 5. Juli gleichgeblieben.

Das neue englische Recht verlangt für die Vermarktung von Lebens- und Futtermitteln, die NGT-Pflanzen enthalten, eine eigene Vermarktungserlaubnis und ermächtigt die Behörden, die dafür notwendigen Regeln zu erlassen. Diese sollen die Rückverfolgbarkeit sicherstellen und gewährleisten, dass das Lebensmittel keine nachteiligen Folgen für die Verbraucher:innen und für die Umwelt hat. Für Risikoabschätzungen ist die nationale Lebensmittelbehörde FSA zuständig. Sie soll auch ein Register führen, in dem alle diese Zulassungen aufgeführt sind. Der Kommissionsvorschlag dagegen sieht einen Automatismus vor. Haben die Behörden eine NGT-Pflanze vor dem ersten Feldversuch der nahezu ungeregelten Kategorie eins zugeordnet, dann darf diese Pflanze später ohne weitere Überprüfungen kommerziell angebaut und als Zutat in Lebensmitteln vermarktet werden – und niemand schaut mehr drauf. [lf]

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