Eine große Koalition im Agrarausschuss des Europaparlaments will neue gentechnische Verfahren (NGT) noch weiter liberalisieren als die EU-Kommission. Auch für Bio sollen NGT-Pflanzen erlaubt werden – durch die Hintertür. Verbieten würden die Abgeordneten gerne die Patentierung solcher Pflanzen. Doch dafür taugen ihre Regelungsvorschläge nicht. Als nächstes ist im Europaparlament der federführende Umweltausschuss am Zug.
583 Änderungsanträge zum NGT-Verordnungsvorschlag der EU-Kommission standen diese Woche im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments zur Debatte. Eine große Koalition aus Europäischer Volkspartei (dazu gehört die CDU/CSU), Renew (FDP) und Sozialdemokraten (ohne die deutsche Abgeordnete Maria Noichl) änderten zusammen mit der Fraktion ID (AfD) den Kommissionsvorschlag in zahlreichen Punkten ab und stimmten schließlich für diese abgeänderte Version. 34 zu 10 bei einer Enthaltung lautete das Ergebnis. Die Gegenstimmen stammten fast alle von den Abgeordneten der Grünen und der Linken. Die Änderungen der Ausschussmehrheit beziehen sich vor allem auf vier Bereiche: Die Definition von NGT, NGT und Bio, NGT und Patente sowie die Kennzeichnung von NGT.
Bei der Definition ersetzten die Abgeordneten den Begriff „neue genomische Techniken“ nach britischem Vorbild durch „Präzisionszüchtung“. Auch sollen NGT-Pflanzen nicht mehr als „gentechnisch verändert“ bezeichnet werden, sondern als ganz normale Pflanzen, die durch zielgerichtete Mutagenese hergestellt wurden. Die Definition für NGT-Pflanzen der Kategorie 1, für die sämtliche bisherige Gentechnik-Regelungen entfallen sollen, haben die Abgeordneten ausgeweitet. So dürften Nachkommen von NGT 1-Pflanzen weiter mit anderen NGT-Verfahren verändert werden ohne ihren Status zu verlieren. Eine Art gesetzliche Salamitaktik also. Auch die Kreuzung zweier NGT 1-Pflanzen soll automatisch als NGT 1-Pflanze gelten. Gleichzeitig werden die für eine NGT 1-Pflanze erlaubten gentechnischen Änderungen gegenüber dem Kommissionsvorschlag weiter ausgedehnt und deren Anerkennung erleichtert. Fazit: Noch mehr unregulierte NGT 1-Pflanzen, die dann nicht einmal mehr als Gentechnik bezeichnet werden.
Diese NGT-1 Pflanzen sollen nach dem Willen der Ausschussmehrheit auch im Biolandbau verwendet werden dürfen. Zwar bleibt der Artikel 10 des Kommissionsvorschlags, der NGT für Bio verbietet, unangetastet. Doch gleichzeitig öffnen die Abgeordneten die Hintertür, indem sie für NGT 1-Pflanzen die Ausnahmeregelung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 reklamieren. Deren Anhang I B legt fest, dass die ganzen Gentechnikregelungen nicht für Pflanzen gelten, die durch Zufallsmutagenese oder Zellfusion erzeugt wurden. Diese Züchtungsverfahren sind deshalb auch für den Ökolandbau erlaubt. Und genau das soll nun auch für NGT 1-Pflanzen gelten. Die Folge: Ist diese Tür einmal geöffnet, wird es faktisch kaum noch möglich sein, Bioprodukte von NGT-Pflanzen frei zu halten. Denn NGT 1-Pflanzen sollen auch nicht mehr gekennzeichnet werden. Hier setzt die Ausschussmehrheit den Kahlschlag der EU-Kommission fort. Sie streicht auch noch die NGT-Kennzeichnung von Saatgut, so dass kein Landwirt mehr weiß, was er aussät. Zudem will sie sowohl eine freiwillige NGT-Kennzeichnung als auch eine „Ohne NGT“-Kennzeichnung verbieten.
Dass NGT-Pflanzen von den großen Konzernen patentiert werden, haben sogar die Verbände von Bauern und Pflanzenzüchtern kritisiert. Deshalb hat die Ausschussmehrheit neue Artikel in den Kommissionsvorschlag aufgenommen. NGT-Pflanzen seien nicht patentierbar heißt es darin, gleichzeitig wird ein entsprechender Passus auch in die Biopatenterichtlinie 98/44 EG eingefügt. Ob das allerdings hilft ist fraglich. Denn was in Europa patentierbar ist, bestimmt nicht die EU. Es ist im Europäischen Patentübereinkommen geregelt, einem völkerrechtlichen Vertrag, den 39 europäische Staaten verabschiedet haben. Auf Basis dieses Vertrages arbeitet auch das europäische Patentamt (EPA), das wiederum von einem Verwaltungsausschuss kontrolliert wird, in dem Vertreter der 39 Staaten sitzen. Wie wenig Einfluss EU-Regelungen auf die europäische Patentierungspraxis haben, zeigt sich daran, dass die Biopatentrichtlinie schon seit 25 Jahren Patente auf Pflanzensorten, Tierrassen und „im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren“ verbietet – und trotzdem bereits mehr als 1.000 konventionell gezüchtete Pflanzensorten von europäischen Patenten betroffen sind, wie das Bündnis Keine Patente auf Saatgut! ermittelte. Fazit: Es wird der Anschein erweckt etwas zu regeln, was gar nicht möglich ist.
Für den Vorschlag des Agrarausschusses gab es deutliche Worte: Der Biobauer und grüne Europaabgeordnete Martin Häusling nannte ihn „eine desaströse Kampfansage an den verantwortungsvollen Umgang mit Gentechnik und ein Schlag gegen die europäischen Vorsorgeregelungen“. Der Vorschlag geht nun als Positionspapier des Agrarausschusses an den Umweltausschuss, der bei diesem Thema federführend ist. Dort hat die EVP-Abgeordnete Jessica Polfjärd bereits im Oktober einen Berichtsvorschlag vorgelegt, der sich in zahlreichen Punkten mit dem des Agrarausschusses deckt. Dazu liegen inzwischen 1193 Änderungsanträge vor, die der Umweltausschuss zusammen mit der Position des Agrarausschusses am 24. Januar beraten wird. Über das Papier, das dort verabschiedet wird, muss abschließend das Plenum des Parlaments entscheiden, voraussichtlich im Februar. [lf]