Die erneute Zulassung des Herbizidwirkstoffs Glyphosat durch die Europäische Kommission wird beim Europäischen Gericht landen. Gleich zwei Bündnisse haben sich auf den Klageweg gemacht und im ersten Schritt bei der EU-Kommission beantragt, die Glyphosat-Genehmigung aufzuheben. Tut sie das – wie zu erwarten – nicht, folgt die Klage vor dem Europäischen Gericht. Derweil macht eine neue Studie deutlich, wie problematisch der Wirkstoff tatsächlich ist.
Die Aurelia Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe – unterstützt von der Berliner Anwaltskanzlei GGSC – forderten die EU-Kommission vergangene Woche auf, ihre Zulassung zu überprüfen. Die beiden Organisationen argumentieren dabei mit den Auswirkungen von Glyphosat-Herbiziden auf die Umwelt. Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA hatte hier zahlreiche Datenlücken festgestellt, aber dennoch empfohlen, den Wirkstoff weiter zuzulassen. Dies sei ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip und gegen maßgebliche Regelungen zur Risikoprüfung und zur Erneuerung von Zulassungen, heißt es in dem Anwaltsschreiben an die EU-Kommission, das zu folgendem Fazit kommt: „Jede dieser Datenlücken steht der Genehmigungserneuerung entgegen.“
EFSA und die EU-Kommission hatten bei der Auswirkung von Glyphosat auf die Biodiversität und bei weiteren Aspekten argumentiert, dass diese Risiken nicht bewertet werden könnten, weil dazu entsprechende Leitlinien fehlten. Gleichzeitig eröffnete die Kommission in ihrer Genehmigung des Wirkstoffes den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei der Zulassung der gebrauchsfertigen Glyphosat-Spritzmittel Auflagen zum Schutz der Umwelt und Artenvielfalt zu erlassen. Die klagenden Organisationen sehen darin ein „unzulässiges Abwälzen der Risikobewertung auf die Mitgliedstaaten“. Die wirkstoffbezogene Risikobewertung sei eine der zentralen Bewertungsaufgaben auf EU-Ebene. Deshalb sei es die Aufgabe der EU-Kommission, Leitlinien zu entwickeln und diese Umweltrisiken zu prüfen, argumentieren sie. Fehlen diese Leitlinien und damit die Überprüfung, dann sei „mangels tragfähiger Bewertungsmethoden der erforderliche wissenschaftliche Nachweis, dass der Wirkstoff die Genehmigungskriterien erfülle, nicht erbracht“. Von der Aurelia Stiftung liegt übrigens bereits eine Klage beim Europäischen Gericht. Sie hat dort die Verordnung angegriffen, mit der die EU-Kommission im Herbst 2022 die Genehmigung von Glyphosat bis 15.12.2023 verlängert hatte, um das neue Zulassungsverfahren zum Abschluss bringen zu können.
Post hat die EU-Kommission auch von einem europäischen Bündnis an Initiativen bekommen: Das Pestizid Aktionsnetzwerk PAN, Global 2000, Générations Futures und Client Earth haben ebenfalls eine Überprüfung der Zulassung gefordert. Ihre Argumente gehen zusätzlich noch auf den Zulassungsprozess und die gesundheitlichen Risiken von Glyphosat ein. Die Organisationen kritisieren, dass sich die amtlichen Bewertungen auf Herstellerstudien stützten und andere Studien systematisch ausgeschlossen worden seien. Deshalb hätten die Behörden sowohl die erbgutschädigende Wirkung von Glyphosat als auch dessen Krebsrisiko falsch bewertet.
„Die EU-Behörden haben unter Missachtung ihrer eigenen Richtlinien und Anforderungen die Beweise für die krebserregende Wirkung von Glyphosat verzerrt, um zu der falschen Schlussfolgerung zu gelangen, der Wirkstoff sei nicht krebserregend“, sagte der Toxikologe Peter Clausing für PAN. Helmut Burtscher-Schaden von Global2000 erinnerte an die „in den US-Gerichtsverfahren aufgedeckten Beweise für Monsantos Bemühungen, frühere EU-Zulassungsverfahren zu beeinflussen“. Er hätte erwartet, dass die Behörden die Studien der Glyphosathersteller diesmal besonders genau unter die Lupe nehmen würden. Doch sie hätten „die Schlussfolgerungen früherer Genehmigungsverfahren in Copy-and-Paste-Manier wiederholt“, obwohl „diese veralteten Herstellerstudien inzwischen allgemein als inakzeptabel gelten“.
Die EU-Kommission hat nun 16 Wochen Zeit, auf die beiden Schreiben zu reagieren. Sie könnte diese Zeit auch dazu nutzen, eine neue Studie zu Glyphosat zu lesen. Die staatlichen Gesundheitsforschenden der USA (US National Institutes of Health) haben in einer epidemiologischen Studie mit Menschen neue Belege für die erbgutschädigende Wirkung des Totalherbizids gefunden. Sie untersuchten Blut, Urin und Zellen aus dem Mund von Landwirten aus den US-Bundesstaaten Iowa und North Carolina. Die Ergebnisse zeigten, dass mit zunehmender Nutzungsintensität von Glyphosat in den Blutzellen der Farmer eine bestimmte Erbgutschädigung auftrat. Diese Schädigung, bei der das Y-Chromosom in den Zellen verschwindet, erhöht massiv das Risiko, an Blutkrebs zu erkranken.
Zu dieser Krebsart zählt auch das Non Hodgkins Lymphom, an dem Zehntausende Menschen leiden, die in den USA Schadenersatz vom Glyphosathersteller Bayer einklagen. Erst vor wenigen Tagen hat ein Geschworenengericht in Philadelphia den Bayer-Konzern zu einem Rekordschadenersatz von 2,2 Milliarden US-Dollar verurteilt, was Bayer anfechten will. „Unsere Ergebnisse liefern neue Belege für das krebserregende Potenzial von Glyphosat“, bestätigt auch die US-Studie. Für Aufsehen sorgte in den USA ferner ein Bericht des Verbands der Kinderärzte (American Academy of Pediatrics, AAP). Die Organisation bewertet Glyphosat als vermutlich krebserregend und womöglich hormonell wirksam. Sie rät ihren Mitgliedern, sich mit dem Thema vertraut zu machen, sich über Kennzeichnung sowie gentechnikfreie und biologisch angebaute Lebensmittel zu informieren und Familien entsprechend zu beraten. [lf]