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Neue Gentechnik: Französische Behörde warnt vor Risiken

Die französische Behörde für Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit, Anses, kommt in einem umfangreichen Gutachten zu dem Schluss, dass mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) erzeugte Pflanzen relevante Risiken aufweisen können. Sie empfiehlt deshalb eine fallspezifische Risikobewertung und ein umfassendes Monitoring. Die französische Regierung hatte das bereits im Januar fertiggestellte Gutachten bis jetzt unter Verschluss gehalten.

Die französischen Expert:innen hatten sich im Auftrag der Regierung mit der Risikobewertung von NGT-Pflanzen befasst, deren Erbgut gezielt mit Hilfe des Verfahrens Crispr/Cas verändert wurde. Es ging im Wesentlichen um jene Pflanzen, die laut einem aktuellen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission künftig ohne Risikoüberprüfung und Zulassung auf den Markt kommen sollen. Die Anses-Fachleute lehnen einen solchen Freifahrtschein ab. Sie kommen zu dem Schluss, dass bei NGT-Eingriffen ins Erbgut „unerwartete Auswirkungen auf den Phänotyp und die agronomischen Eigenschaften von Pflanzen immer möglich sind, und dass unerwartete Veränderungen der Zusammensetzung der Pflanze oder der daraus hergestellten Lebensmittel ebenfalls möglich sein könnten“. Auch könnten solche Eingriffe die Allergenität einer Pflanze verändern. Deshalb seien die üblichen 90-tägigen Fütterungsstudien „nach wie vor unerlässlich, um ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier im Zusammenhang mit dem Verzehr der gentechnisch veränderten Pflanze oder daraus hergestellter Produkte zu erkennen“.

Zu den Umweltrisiken schrieben die Expert:innen, dass deren Bewertung, wie sie in den derzeitigen Leitlinien vorgeschrieben sei, auch für NGT-Pflanzen relevant bleibe. Zudem müssten die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt werden, wenn mehr Anbauflächen für NGT-Pflanzen zugelassen werden sollten. Um die Risiken angemessen zu berücksichtigen, empfiehlt Anses, die Gesundheits- und Umweltrisiken jeder neuen NGT-Pflanze individuell zu prüfen. Dafür hat sie in ihrem Gutachten einen Entscheidungsbaum erarbeitet. Ist eine Pflanze zugelassen, brauche es einen Monitoringplan, um die Umweltrisiken über die gesamte Dauer der Zulassung zu überwachen. Dabei müssten auch die kumulativen Auswirkungen des Anbaus verschiedener Sorten mit demselben veränderten Merkmal, sowie die Auswirkungen auf die Anbaupraxis berücksichtigt werden, heißt es in dem Gutachten.

Zusätzlich befasste sich das Anses-Gutachten mit den sozioökonomischen Auswirkungen von NGT-Pflanzen. Es verweist dabei unter anderem auf die Koexistenzprobleme zwischen NGT-Pflanzen und gentechnikfreier konventioneller oder ökologischer Land- und Lebensmittelwirtschaft. Anses geht ferner auf die Transparenz ein, die die Verbraucherer:innen erwarten: Der Einsatz von gv-Pflanzen könne besser zurückverfolgt werden, wenn die Antragsteller bei einer Zulassung verpflichtet würden, eine Nachweismethode anzugeben. Die Patentierung von NGT-Pflanzen bezeichnet das Gutachten als sehr wichtigen Aspekt. Zwar sei es offen, ob NGT-Pflanzen zu mehr Konzentration auf dem Saatgutmarkt führen oder kleineren Unternehmen helfen würden. Doch sollten die Behörden wachsam sein, damit kein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erlangen und missbrauchen kann. Als Fazit schreibt Anses, die Kontroverse um NGT-Pflanzen gehe über die wissenschaftlichen und technischen Fragen hinaus. Sie beziehe sich auf ein viel breiteres Spektrum von Bedenken im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Produktionsmodellen und dem Stellenwert der Gentechnik in einem agrarökologischen Übergang. Deshalb brauche es eine breite gesellschaftliche Debatte.

Die Anses-Expert:innen stellten ihren Bericht im Dezember 2023 fertig. Anses-Generaldirektor Benoît Vallet unterzeichnete das formelle Dokument am 22. Januar und leitete es an die Regierung weiter. Die Anses hatte geplant, den Bericht und die Stellungnahme Anfang Februar zu veröffentlichen, doch sei die Veröffentlichung auf „politischen Druck“ hin blockiert wurde. So berichtete es die französische Tageszeitung Le Monde am 5. März unter Berufung auf eine „mit dem Dossier vertraute Quelle“. Den Grund sieht Le Monde in den Abstimmungen über die geplante NGT-Verordnung, die im Februar in Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat anstanden: „Die Stellungnahme der Anses, die Le Monde einsehen konnte, steht in frontalem Gegensatz zu der Position, die Frankreich in Brüssel zu diesem Thema vertritt, sowie zu der mehrheitlich von den Renew-Abgeordneten im Europäischen Parlament vertretenen Position“, schrieb das Blatt. Zur liberalen europäischen Parteienfamilie Renew gehört auch Renaissance, die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Einen Tag nachdem Le Monde ausführlich aus dem Gutachten zitiert hatte, wurde es auf der Webseite von Anses veröffentlicht.

Bereits im November 2023 hatte Anses die Kriterien bewertet, nach denen in der geplanten NGT-Verordnung die meisten Pflanzen in die weitgehend regelungsfreie Kategorie 1 einsortiert werden sollten (der Infodienst berichtete). Dabei war sie zu dem Schluss gekommen, diese Kriterien seien wissenschaftlich nicht fundiert. Zusammen mit der nun veröffentlichten ausführlichen Risikobetrachtung liegt damit eine weitere, gewichtige, wissenschaftlich fundierte behördliche Position vor, die dem seit Jahren von interessierten Kreisen publizierten Narrativ vom wissenschaftlichen Konsens, dass NGT-Pflanzen so harmlos wie herkömmliche Züchtung seien, massiv widerspricht. Welche Rolle spielt das jetzt in den laufenden Diskussionen über neue Regeln für NGT-Pflanzen in den europäischen Gremien?

Da die beschriebene zweite Stellungnahme der Anses erst vor zwei Tagen veröffentlicht wurde, beziehen sich die politischen Reaktionen bislang nur auf den ersten Teil. So hat Roberta Metsola, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, die EU-Lebensmittelbehörde EFSA am 22. Februar darum gebeten, zur Kritik der Anses an den Gleichwertigkeitskriterien der NGT-Kategorie eins bis Ende Juli 2024 Stellung zu nehmen. Bereits am 15. Januar hatte der französische Abgeordnete Christophe Clergeau die EU-Kommission schriftlich gefragt, ob sie die EFSA angesichts der Anses-Kritik damit beauftragen könne, neue Kriterien zu erarbeiten, wann gentechnisch veränderte und herkömmlich gezüchtete Pflanzen gleichwertig sein sollen. Die zuständige EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hat darauf gestern geantwortet: „Die von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien stehen im Einklang mit den wissenschaftlichen Gutachten der EFSA und berücksichtigen diese. In diesem Zusammenhang hält es die Kommission nicht für erforderlich, die EFSA mit der Festlegung neuer Gleichwertigkeitskriterien zu beauftragen." [lf/vef]

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