DNA-Modell der Ausstellung 'Genome: The Secret of How Life Works' im Jahr 2012 (Foto: George Bush Presidential Library and Museum / flickr, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0)

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EU-Kommission weist französische Kritik am Gentechnik-Entwurf zurück

UPDATE +++ Die Europäische Kommission hat die Kritik der französischen Umwelt- und Lebensmittelbehörde Anses an ihrem Regelungsentwurf für Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT) diese Woche im Europaparlament zurückgewiesen. Zuvor hatte ein Anses-Vertreter die Vorwürfe aus einem Behördenbericht vom März im Umweltausschuss mündlich erneuert. Die amtierende belgische Ratspräsidentschaft räumte unterdessen ein, dass das umstrittene Gesetzgebungsvorhaben vor der Europawahl im Juni nicht mehr umgesetzt werden kann.

Klaus Berend von der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der EU-Kommission lobte im Ausschuss zunächst die EU-Lebensmittelbehörde EFSA, die die EU-Kommission bei dem NGT-Entwurf umfangreich wissenschaftlich beraten habe. Dabei habe sie sich auch mit nationalen Behörden wie der Anses regelmäßig ausgetauscht. Die Kritik von Anses an den Kriterien zur Gleichwertigkeit von Pflanzen aus neuer Gentechnik mit solchen aus herkömmlicher Züchtung wies er zurück: Man habe Sicherheitsbetrachtungen angestellt und sei zu dem wissenschaftlich untermauerten Ergebnis gekommen, dass eine Risikobewertung nicht notwendig sei. Berend wandte sich deutlich gegen die von Anses und dem EU-Parlament verlangte Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit aller NGT-Pflanzen. Schließlich verwies er auf ein Schreiben von 37 Nobelpreisträger:innen und 1500 Wissenschaftler:innen vom Januar, in dem diese das Europäische Parlament aufgefordert hatten, „die eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, die NGTs unterstützen“ und „die Dunkelheit der wissenschaftsfeindlichen Panikmache zurückzuweisen“.

Zuvor hatte der Abteilungsleiter für wissenschaftliche Beratung der Anses vor den EU-Abgeordneten die Kritik aus dem schriftlichen Bericht der Behörde erneuert, der Kommissionsentwurf regele die Gleichwertigkeit von NGT-Pflanzen mit solchen aus konventioneller Züchtung nicht nach wissenschaftlichen Kriterien (der Infodienst berichtete). Eine Kategorisierung nach der Anzahl der Genveränderungen, wie sie die EU-Kommission in ihrem Entwurf plane, ersetze keine Risikobetrachtung, mahnte Matthieu Schuler. Anstelle der pauschalen Deregulierung für NGT-Pflanzen mit wenigen Genveränderungen plädierte er für einen risikoorientierten Ansatz, begleitet durch ein langfristiges Monitoring einmal freigesetzter NGT-Pflanzen. Doch diese Vorschläge wurden im Umweltausschuss nicht ernsthaft diskutiert.

Jessica Polfjärd, die NGT-Berichterstatterin der Europäischen Volkspartei, verteidigte den Kommissionsvorschlag als wissenschaftlich gut begründet und verwies auf die positiven Stellungnahmen nicht nur der EU-Lebensmittelbehörde EFSA, sondern auch der niederländischen und belgischen Behörden sowie der deutschen ZKBS (Zentrale Kommission für die biologische Sicherheit). Ihr Kollege Alexandr Vondra von der konservativen EKR bezeichnete das Anses-Gutachten als Minderheitsposition und warf der Behörde ebenso wie sein liberaler Kollege Jan Huitema vor, die Risiken konventioneller Züchtung mit zufälliger Mutagenese durch Strahlung oder Chemikalien nicht behandelt zu haben. Die Abgeordneten von Sozialisten, Grünen und Linken (Christophe Clergeau, Martin Häusling und Anja Hazekamp) werteten das Anses-Gutachten als Bestätigung ihrer Kritik an dem NGT-Vorschlag. Damit sei die vorzeitig beendete Debatte wiedereröffnet, sagte Clergeau.

Genau das ist aber offenbar die Sorge der Befürworter:innen des Kommissionsentwurfs: dass die Diskussion über Privilegien für NGT-Pflanzen in der nächsten Legislaturperiode wieder ganz von vorn beginnen könnte. Um das zu verhindern und die erste Lesung des Entwurfs im Europäischen Parlament (EP) abzuschließen, wurde für dessen letzte Sitzung am 24. April noch eine Abstimmung dazu im Plenum angesetzt. Grundlage ist die am 7. Februar mit Änderungen verabschiedete Vorlage von Berichterstatterin Jessica Polfjärd (der Infodienst berichtete). Zu den damals angestrebten Trilogverhandlungen mit den anderen EU-Gremien wird es in dieser Legislatur nun nicht mehr kommen. Nach der Europawahl kann das neue EP nach Auskunft eines Sprechers dann selbst frei entscheiden, ob es in der zweiten Lesung des Entwurfs noch Änderungsanträge einbringen oder mit der bereits verabschiedeten Entwurfsfassung in die Trilogverhandlungen mit Rat und EU-Kommission gehen will.

Nicht nur der deutsche Agrarminister, auch gentechnikkritische Organisationen weisen gebetsmühlenartig darauf hin, dass wesentliche Fachfragen zu NGT wie deren künftige Patentierung weiterhin ungeklärt sind. Der europäische Kleinbauernverband Via Campesina hob außerdem hervor, dass die EU-Kommission gerade erst ein Forschungsprojekt zum Nachweis von NGT-Pflanzen gestartet hat, das bis Ende 2027 laufen soll. Wenn das EU-Parlament seinen Standpunkt zum jetzigen Zeitpunkt bestätige, stelle es seine Integrität ernsthaft in Frage, warnte Via Campesina.

Auch das EP selbst hat bereits einen Arbeitsauftrag erteilt, dessen Ergebnis erst im Juli vorliegen wird: Die EFSA wird zur Kritik von Anses an den Kriterien für die NGT-Kategorien im Kommissionsentwurf Stellung nehmen. Eine kurze Zuschaltung von Ana Alfonso, der Gentechnik-Koordinatorin der EFSA, diese Woche im Umweltausschuss lässt allerdings vermuten, dass auch die EFSA ihr Konzept kaum hinterfragen wird. Die einschlägigen EFSA-Stellungnahmen von 2020 und 2022 blieben die wissenschaftliche Grundlage der Arbeit, sagte Alfonso. Als sie erstellt wurden, seien die Ergebnisse der öffentlichen Konsultationen mit berücksichtigt worden.

Auch deutsche Wissenschaftsgesellschaften wollen trotz der wissenschaftlichen Kritik der Anses an ihrer These festhalten, von NGT-Pflanzen gingen keine größeren Risiken aus als von konventionell gezüchteten. Der Informationsdienst Gentechnik hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, gefragt, ob es angesichts mehrerer Veröffentlichungen von Wissenschaftsorganisationen und Behörden (Bundesamt für Naturschutz, Gesellschaft für Ökologie, Ensser, Anses) noch korrekt sei, in Bezug auf die Risikobewertung von NGT-Pflanzen von einem Konsens der Wissenschaft zu sprechen. Die DFG antwortete, man könne „weiterhin von einem klaren wissenschaftlichen Konsens hinsichtlich der biologischen Risikoeinschätzung von NGT-1-Pflanzen ausgehen“. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe der DFG-Leopoldina hätten die genannten Papiere diskutiert und bisher keinen Anlass gesehen, ihre Stellungnahmen von 2019 und vom Oktober 2023 zu aktualisieren. Die Leopoldina beschränkt den Konsens auf diejenigen Wissenschaftler:innen, die mit NGT-Pflanzen arbeiten: „Sollten grundlegende neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Überarbeitung der Stellungnahme oder die Publikation einer neuen Stellungnahme erforderlich machen“, würde dies aus eigener Initiative der zuständigen Kommissionen erfolgen. Man könne „weiterhin von einem klaren Konsens der Wissenschaften mit direktem Bezug zur Molekularbiologie hinsichtlich der Risikoeinschätzung von NGT-1-Pflanzen ausgehen“. [lf/vef]

Update: Details zum weiteren Prozedere im EP ergänzt.

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