Lila Gentechnik-Tomaten (Foto: John Innes Centre)

Wertschätzung

Finden Sie diese Nachricht hilfreich? Unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.

Gentechnik oder nicht? Rätsel um lila Tomate

Prominent platzierte der US-amerikanische Saatguthändler Baker Creek die purpurfleischige Tomate auf der Titelseite seines Katalogs für 2024: Sie sei die erste gentechnikfreie, durchgehend lila gefärbte Tomate der Welt. Die Konkurrenz protestierte prompt: Das kalifornische Unternehmen Norfolk Healthy Produce warnte, sein Patent auf eine lila Gentechnik-Tomate könnte verletzt sein. Nach erneuten Tests verkaufte Baker Creek sein Tomatensaatgut nicht. Doch vieles an dem Fall bleibt rätselhaft.

Die Baker Creek Heirloom Seed Company ist ein alteingesessenes US-Unternehmen, das sich auf samenfeste, alte und damit gentechnikfreie Gemüsesorten spezialisiert hat. Schon Ende der 1990er Jahre hatte es sich einer Unternehmensinitiative angeschlossen, den Gemüseanbau in den USA gentechnikfrei zu halten. Auch aktuell spricht Baker Creek sich auf seiner Webseite für das Recht der Landwirte am eigenen Saatgut und gegen patentierte, hybridisierte oder gentechnisch veränderte Varianten aus. Die lila Tomate „Purple Galaxy“, die Bakers PR-Coup für 2024 werden sollte, sei in Europa konventionell gezüchtet worden, wo die Hürden für den Einsatz von Gentechnik hoch seien. Der Züchter sammle seit Jahrzehnten seltenes Tomatensaatgut und vermehre jährlich mehr als 1.000 Tomatensorten, schreibt Baker Creek. Sie hätten dessen Versuche, eine violette Fleischtomate zu züchten, über drei Jahre hinweg aktiv verfolgt. Den Namen des Züchters nennen sie nicht. Recherchen des Infodienst Gentechnik auf einschlägigen europäischen Webseiten führten zu keiner Tomate mit einem derart lila Fruchtfleisch.

Auf Nachfragen verunsicherter Kunden, denen die Ähnlichkeit mit der Gentechnik-Tomate von Norfolk aufgefallen war, teilte Baker Creek mit, ein renommiertes europäisches Labor habe die Samen auf zwei Markergene getestet und als gentechnikfrei befunden. Auch dieses Labor wird öffentlich nicht konkret benannt. Norfolk hat das offenbar nicht überzeugt. Nachdem der Katalog erschienen war, hatte das Unternehmen den Händler kontaktiert, die Sorge geäußert, dass die "Purple Galaxy" von ihrer patentierten gentechnisch veränderten (gv) Tomate abstammen könnte und weitere Gentests vorgeschlagen. Was bei den von Baker Creek beauftragten Tests herauskam, stellen die beiden Unternehmen unterschiedlich dar: Laut Baker hätten sie „keine schlüssige Verbindung“ zwischen der "Purple Galaxy" und der gv-Tomate von Norfolk ergeben. Die Tests hätten aber auch nicht schlüssig bewiesen, dass die "Purple Galaxy" wirklich frei von gentechnisch verändertem Material sei. Deshalb habe man sich entschieden, das Saatgut nicht anzubieten und dessen Produktion einzustellen.

Norfolk Healthy Produce dagegen schreibt auf seiner Webseite: „Uns wurde mitgeteilt, dass bei Labortests festgestellt wurde, dass es sich tatsächlich um eine gentechnisch veränderte Sorte (GVO) handelt.“ Dies unterstreiche die Tatsache, dass die einzige bekannte Möglichkeit, eine violettfleischige Tomate zu züchten, die patentierte Technologie von Norfolk sei. Das wiederum ist die PR-Botschaft des Unternehmens Norfolk. Es wurde von Cathie Martin, die die lila Gentechnik-Tomate im britischen John Innes Centre entwickelt hatte, speziell zu dem Zweck mitgegründet, diese zu vermarkten (der Infodienst Gentechnik berichtete). Da weder Baker Creek noch Norfolk Testergebnisse veröffentlichten, ist es für Außenstehende nicht möglich festzustellen, ob "Purple Galaxy" tatsächlich eine gv-Tomate, eine kontaminierte oder doch eine gentechnikfreie Züchtung ist. Warum Baker Creek nicht einmal den ersten Test publiziert, der dem Händler eine gentechnikfreie Tomate bescheinigt haben soll, bleibt unklar.

Sollten also tatsächlich Spuren von Gentechnik in „Purple Galaxy“ gefunden worden sein, wäre die nächste Frage: Wie sind sie dort hineingekommen? Und wer wusste davon? Baker Creek äußerte in einem Facebook-Thread des US-Gentechniklobbyverbandes AgBioWorld die Vermutung, dass es sich „um eine unbeabsichtigte Kontamination“ beim europäischen Züchter gehandelt haben könnte. Damit demonstrieren sie ihr Vertrauen in den Züchter und schützen ihren eigenen Ruf als Spezialisten für alte, gentechnikfreie Sorten. Sollte es der Wahrheit entsprechen, zeigt es erneut, wie schnell Anbieter gentechnikfreier Produkte durch Gentechnik-Patente in Schwierigkeiten kommen können.

Die Intransparenz der beiden Unternehmen sei bedauerlich und widerspreche den Interessen der Züchter, der GVO-Entwickler und der Öffentlichkeit gleichermaßen, kommentierte das gentechnikkritische Portal GMWatch. Sollte es sich bei „Purple Galaxy“ um eine europäische Tomate mit Erbgut der Norfolk-Tomate handeln, hätte das Unternehmen gegen europäische Biosicherheitsregeln verstoßen, argumentiert GMWatch. Denn Norfolk habe die Tomate in Europa nur unter Sicherheitsbedingungen im John Innes Centre in Großbritannien anbauen dürfen. Ansonsten sieht GMWatch zwei Möglichkeiten. Entweder habe Baker Creek sich das gv-Saatgut besorgt und als eigenes Produkt ausgegeben. Oder aber die Anschuldigung von Norfolk sei falsch, aber wirkungsvoll gewesen. „Nimmt man die Behauptung von Norfolk für bare Münze, so bedeutet dies, dass niemand mehr seine eigene lilafleischige Tomate züchten kann, ohne befürchten zu müssen, dass das Unternehmen ihn wegen Patentverletzung verklagen wird“, warnt GMWatch.

Das könnte sich möglicherweise bald an neuen Streitfällen zeigen. Denn die jüngste Initiative von Norfolk, ihr Saatgut für gv-Tomaten an Hobbygärtner in den USA zu verkaufen, fand großen Zuspruch. Wie das John Innes Centre mitteilte, waren allein in der ersten Woche der Aktion im Februar rund 10.000 Packungen des Tomatensaatguts mit je zehn Samen zum Preis von 20 US-Dollar verkauft worden. Dem Vernehmen nach sind die gv-Samen inzwischen ausverkauft. Der Großteil davon wird vermutlich in Tausenden amerikanischen Kleingärten eingepflanzt - nicht weit entfernt von konventionellen Tomaten, die sich naturgemäß mit den neuen Nachbarn kreuzen werden. Als „Streubombe“ bezeichnete das US-amerikanische Non-gmo-project daher auch diese Initiative, die das genetische Material der Norfolk-Tomate über die ganzen Vereinigten Staaten hinweg verbreiten wird – mit unabsehbaren Folgen. [lf/vef]

Wir nehmen Datenschutz ernst!
Unsere Seiten nutzen in der Grundeinstellung nur technisch-notwendige Cookies. Inhalte Dritter (YouTube und Google Maps) binden wir erst nach Zustimmung ein.
Cookie-Einstellungen | Impressum & Datenschutz

OK