Tomate
Michael Shealy, Gold Medal Heirloom https://t1p.de/daqod, creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0

Wie Gentechnik-Patente die Züchtung behindern können

19.06.2024

Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren (NGT) hergestellt wurden, dürfen derzeit uneingeschränkt patentiert werden. Ein Report der Koalition „Keine Patente auf Saatgut!“ zeigte am Beispiel einer virusresistenten Tomate, wie solche Patente die gentechnikfreie mittelständische Pflanzenzüchtung bedrohen. Deshalb ist es entscheidend, wie die Europäische Union künftig die Patentierung von NGT regelt.

Die Recherche von „Keine Patente auf Saatgut!“ ergab, dass inzwischen mehr als 20 internationale Patentanmeldungen auf Tomaten mit einer Resistenz gegen das aggressive Tomato Brown Rugose Fruit Virus (ToBRFV) vorliegen. Eingereicht wurden sie in den Jahren 2018 bis 2023 von zehn Unternehmen, darunter BASF, Bayer, Rijk Zwaan und Syngenta. Die Anmeldungen beschränken sich nicht auf NGT-Pflanzen, sondern decken laut der Recherche Dutzende von Genvarianten ab, die natürlicherweise vorkommen können. Sollten die Patente erteilt werden, könnte dies „die Arbeit europäischer Züchter:innen schwer beeinträchtigen oder blockieren“, heißt es in dem Bericht.

Das ToBRFV wurde 2015 in Jordanien und Israel entdeckt, heißt deshalb auch Jordan-Virus und hat sich seither rasant in Europa ausgebreitet. Bei befallenen Tomaten- und Paprikapflanzen bekommen erst die Früchte gelbliche Flecken, später die Blätter und schließlich vergilbt die ganze Pflanze und stirbt ab. Zum Glück für Tomatenzüchter gibt es „viele natürlich vorkommende Genvarianten, die ein hohes Maß an Toleranz oder sogar Resistenz gegen das Virus verleihen können“, schreibt „Keine Patente auf Saatgut!“. Es bestehe daher keine Notwendigkeit für Gentechnik, da neue Sorten mit einer Toleranz oder Resistenz durch konventionelle Züchtungsmethoden gewonnen werden könnten. Tatsächlich brachten inzwischen einige große Unternehmen ToBRFV-resistente konventionell gezüchtete Tomatensorten auf den Markt, darunter BASF, Bayer, Rijk Zwaan und Syngenta. Der Nachteil aus Sicht dieser Konzerne: Andere Züchtungsunternehmen dürfen mit diesen Sorten und den darin enthaltenen natürlich vorkommenden Resistenzgenen weiterzüchten – ohne dafür zu zahlen.

Deshalb haben diese Unternehmen für ihre Pflanzen Patente angemeldet. „Ausgangspunkt für fast alle diese Patentanmeldungen ist der Nachweis von Genvarianten in bestehenden Pflanzen“, heißt es im Report von „Keine Patente auf Saatgut!“. NGT wie Crispr/Cas würden dann als „technisches Topping“ eingesetzt, um diese Pflanzen „neu zu erfinden“ und so den Eindruck einer technischen Erfindung zu erwecken. Folglich könnten die Unternehmen sowohl die gentechnisch veränderten Tomaten als auch Eigenschaften der konventionell gezüchteten Sorten für sich beanspruchen. Allein durch die Anträge hätten die Unternehmen ein „Patent-Dickicht“ um ihre Pflanzen aufgebaut, das andere Züchter abschrecke. Denn sie müssten, um künftige Patentverletzungen zu vermeiden, „etwa zwei Dutzend Patentanmeldungen analysieren und nach allen in den verschiedenen Patenten beschriebenen genetischen Variationen suchen“ oder aber von vornherein Lizenzverträge abschließen, argumentiert „Keine Patente auf Saatgut!“.

Einen Weg, gentechnikfreien Züchtern ungehinderten Zugang zu natürlich vorkommenden Resistenzen zu erhalten, sieht „Keine Patente auf Saatgut!“ im österreichischen Patentrecht. Dort sind seit Mai 2023 Patente verboten, wenn eine Züchtung „vollständig auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung, Selektion, nicht zielgerichteter Mutagenese oder auf in der Natur stattfindenden, zufälligen Genveränderungen beruht“. Zudem wird klargestellt: Ein NGT-Patent auf Pflanzen oder Tiere „erstreckt sich nicht auf Pflanzen oder Tiere mit denselben spezifizierten Eigenschaften, die unabhängig vom patentierten biologischen Material und mit im Wesentlichen biologischen Verfahren hergestellt wurden“. „Keine Patente auf Saatgut!“ schrieb dazu: „Die EU hat die Möglichkeit, eine ähnliche Formulierung in die Patentrichtlinie 98/44 aufzunehmen (Art. 2.2 und/oder Art. 4.1) und damit dem Missbrauch des Patentrechts ein Ende zu setzen.“ [lf]

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