Viele Gentechnik-Expert:innen der EU-Lebensmittelbehörde EFSA haben enge Verbindungen zur Gentechnik-Industrie. Dies belegt eine Untersuchung der Organisation Testbiotech, die Alarm schlägt. Denn eigentlich sollen diese Expert:innen das Risiko von Gentech-Pflanzen neutral bewerten – schließlich verlässt sich die EU-Kommission bei ihren Entscheidungen auf diese Bewertungen.
Sie sollen „unabhängigen wissenschaftlichen Rat liefern, um Verbraucher:innen, Tiere und die Umwelt in der EU zu schützen“. Das schrieb die EU-Lebensmittelbehörde EFSA Anfang Juli, als sie die Neubesetzung ihrer zahlreichen Expert:innen-Gremien bekannt gab. Insgesamt berief die Behörde 180 Fachleute, die sie die nächsten fünf Jahre in diversen Fragen beraten sollen. 16 von ihnen bilden das für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zuständige Gremium (auf Englisch: GMO Panel). Sie alle haben eine Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten ausgefüllt (Declaration of Interest, DOI). Testbiotech hat diese Erklärungen und weitere öffentlich zugängliche Informationen ausgewertet.
Demnach entwickeln sieben der 16 Mitglieder des Panels hauptberuflich Gentech-Pflanzen. Fünf der sieben arbeiten dabei in Projekten, die von der Industrie mitfinanziert werden, darunter Konzerne wie Syngenta, Corteva und Limagrain. Zudem halten fünf der sieben Patente im Bereich der Gentechnik-Pflanzen und haben damit finanzielle Interessen. Bei ihnen könnte sich die Frage, wie neue gentechnische Verfahren (NGT) reguliert werden, direkt auf den Geldbeutel auswirken. Der Vorsitzende des Gentechnik-Panels berät die Industrie zu Themen, die die Risikobewertung der EFSA betreffen. Sechs dieser sieben hauptberuflichen Gentechniker:innen engagieren sich in Lobbyverbänden, die sich vor allem dafür einsetzen, dass NGT-Pflanzen keine Zulassung brauchen. Teilweise hätten sie diese Aktivitäten in ihren Erklärungen nicht angegeben, kritisiert Testbiotech. Das widerspreche den Regeln der EFSA.
Insgesamt hätten „Anwender:innen und Pro-Gentechnik-Aktivist:innen einen erheblichen Einfluss auf die Risikoprüfung von Gentechnik-Organismen in der EU erlangt“, zog Testbiotech Bilanz. Obwohl Fachkenntnisse über die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen für deren Risikobewertung durchaus relevant sind, sei das Gentechnik-Panel in der bisherigen Geschichte der EFSA noch nie so einseitig mit Gentechnik-Anwender:innen besetzt worden. Im Gegenzug sei der Anteil an Sachverständigen mit Expertise in wichtigen Gebieten wie der Ökologie gesunken, bemängelte Testbiotech. Unter diesen Bedingungen scheine „für die kommenden Jahre eine unabhängige Bewertung von Zulassungsanträgen und eine angemessene Weiterentwicklung von Prüfrichtlinien durch die Behörde kaum realisierbar“. Der Vorgang werfe weitreichende Fragen in Bezug auf den Auswahlprozess und die Unabhängigkeitspolitik der Behörde einschließlich deren Leitung auf, schrieb Testbiotech und zielte damit auf den scheidenden EFSA-Direktor Bernhard Url. Bei der Neubesetzung dieser Leitungsposition müsse deswegen strikt auf Kompetenz und Unabhängigkeit geachtet werden, folgerte Testbiotech. Zudem müsse die Zusammensetzung des GMO Panels dringend korrigiert werden.
„Wir bewerten die Interessen aller unserer Experten sorgfältig gemäß unserer Unabhängigkeitspolitik, die als eine der strengsten aller öffentlichen Einrichtungen in Europa anerkannt ist“, antwortete die EFSA gegenüber der französischen Zeitung Le Monde. Werde ein potenzieller Interessenkonflikt festgestellt, „wenden wir strenge Maßnahmen an, um den Experten von allen damit zusammenhängenden wissenschaftlichen Arbeiten auszuschließen“, hieß es weiter in dem EFSA-Statement. Die Behörde betonte, ein vorhandenes Interesse bedeute nicht zwangsläufig, dass ein Interessenkonflikt bestehe. Auch sei es unrealistisch, sich nur auf Experten zu verlassen, die nicht wüssten, wie Gentech-Pflanzen entwickelt und genutzt würden.
Für solche Fälle gäbe es eine einfache Lösung, schrieb das Portal GMWatch. Die EFSA müsste nur so vorgehen wie die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation. Dort könnten Expert:innen der Industrie Informationen und Belege zur potenziellen Karzinogenität von Industrieprodukten liefern. Doch wegen der bestehenden Interessenkonflikte dürften sie nicht über die Einstufung der untersuchten Substanz abstimmen oder den Bericht über die Substanz schreiben. „Personen mit Interessenkonflikten werden einfach von jeglicher Entscheidungsfunktion ausgeschlossen und diesem Modell sollte die EFSA folgen, wenn sie die Risiken von gentechnisch veränderten Organismen bewertet, schrieb GMWatch. [lf]