Neue Technologien

Dossier

Neue Gentechniken

Einführung

Genome Editing, Gentechnik 2.0 oder neue Züchtungstechniken sind Sammelbegriffe für neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas, Zinkfinger-Nuklease oder ODM (Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese). Mit den bisherigen Verfahren der ‚alten’ Gentechnik wurde fremdes Erbgut mit Hilfe von Gen-Kanonen oder Bakterien in die Zelle geschleust. Wo im Erbgut die eingebrachte fremde DNA eingebaut wurde, blieb dem Zufall überlassen. Die wenigen Pflanzen, bei denen der Einbau erfolgreich war, mussten mühsam herausgesucht werden. Bei den neuen Verfahren gelangt die gewünschte DNA-Änderung mit den gleichen Verfahren in die Zelle, dort jedoch lotsen sie dann eingebaute Boten an die gewünschte Stelle im Erbgut. Enzyme schneiden an dieser Stelle in den DNA-Strang und lösen dadurch den Reparaturmechanismus der Zelle aus. Dieser soll die mitgebrachte DNA-Änderung in das Erbgut einbauen. Soweit die Theorie. Doch die neuen Methoden sind bei weitem nicht so zielgenau und nebenwirkungsarm, wie ihre Befürworter behaupten. Allerdings ermöglichen sie Änderungen im Erbgut, die bisher so nicht möglich waren. Und sie vereinfachen und beschleunigen die Entwicklung solcher gentechnischen Veränderungen. Dadurch verstärkt sich die Gefahr, dass mit diesen Verfahren erzeugte Produkte ohne ausreichende Risikoüberprüfung auf den Markt kommen - wenn sie nicht rechtzeitig und streng reguliert werden.


Das Beispiel CRISPR

Die ersten Gen-Scheren wie Zinkfinger oder TALEN wurden schon zu Beginn des Jahrtausends entwickelt. Erste damit hergestellte Produkte sind in den USA bereits zugelassen und werden angebaut. Doch den großen Sprung nach vorne machten die neuen Verfahren erst mit der Entwicklung von CRISPR/Cas. CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, das ist eine Sammlung kleiner DNA-Abschnitte, die sich auf bestimmte Weise wiederholen. CRISPR erkennt bestimmte Erbgutschnipsel und kann mit Hilfe eines als guide-RNA bezeichneten Moleküls diese in einem fremden Erbgut ansteuern. Cas9 ist ein Enzym, das die DNA-Stränge des Erbguts durchschneiden kann. Bakterien nutzen dieses System aus einer Erkennungs- und einer Schneidekomponente, um angreifende Viren anhand ihrer DNA zu identifizieren und zu bekämpfen. Das System lässt sich aber auch verwenden, um im Erbgut von Pflanzen, Tieren oder Menschen gezielte Veränderungen an der DNA vorzunehmen, zusätzliche DNA-Abschnitte einzubauen oder Gene abzuschalten.
Genauer erklärt CRISPR die Fachstelle Gentechnik und Umwelt.
Sie erläutert auch die Gen-Schere ODM.


Chancen und Risiken

Die Befürworter der neuen Gentechnik betonen die Vorteile möglicher Anwendungen bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren ebenso wie bei der Bekämpfung von (Erb)-Krankheiten bei Menschen.

Bei Pflanzen heben sie drei Bereiche hervor:

  • Resistenzen gegen Pilz- und Viruskrankheiten und dadurch weniger Pestizideinsatz,
  • Toleranz gegen Trockenheit und andere Stressbedingungen,
  • geänderte Nährstoffzusammensetzung oder weniger Allergene.

Diese drei Bereiche – und ihre angebliche Bedeutung für die Sicherung der Welternährung – wurden bereits vor über 20 Jahren bei der Einführung der alten Gentechnik von deren Befürwortern immer wieder hervorgehoben. Umgesetzt haben die Gentechnik-Konzerne davon kaum etwas, wie eine Studie des Gen-Ethischen Netzwerks zeigte.

Auch aktuell finden sich in den Entwicklungspipelines der Gentech-Konzerne kaum Pflanzen, die besser an den Klimawandel angepasst wären. Die Schweizer Ethik-Kommission für Biotechnologie (EKAH) kam deshalb im November 2022 zu dem Schluss, dass gentechnische Verfahren wenig geeignet seien, zeitnah für eine Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel zu sorgen. Die Verbraucher:innen-organisation Foodwatch zeigte in einer Analyse, dass an der versprochenen Pestizidreduktion nichts dran sei.
Infodienst: Schweizer Ethikkommission - Klimanutzen der Gentechnik nicht überschätzen (01.11.2022)
Infodienst: Neue Gentechnik - keine Belege für Pestizidreduktion (06.06.2023)

Ausführlich mit den Versprechungen der Neuen Gentechnik befassen sich die Themenseiten Gentechnik und Klimawandel sowie Gentechnik und Hungerbekämpfung.

Die neuen Verfahren werden gerne als „präzise“ und damit als arm an Nebenwirkungen beschrieben. Doch das trifft nicht zu, wie Mitarbeiter des österreichischen Umweltbundesamtes und des deutschen Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in einem Forschungsprojekt zeigten. Ihr Ergebnis: Die Herstellung von Pflanzen mithilfe neuer gentechnischer Verfahren kann immer mit unbeabsichtigten Nebeneffekten verbunden sein. Deshalb müsse es Teil der Risikobewertung sein, umfassend nach solchen Änderungen zu suchen. Eine Einschätzung, die zahlreiche Wissenschaftler, etwa im Netzwerk ENSSER, teilen.

Nebeneffekte können direkt am Ort des Geschehens auftreten, also dort wo die Schere schneidet (On-Target-Effekte), in der Nähe dieses Ortes oder an weit entfernten Stellen im Erbgut (Off-Target-Effekte). Die Ursachen der Effekte sind verschieden. So wird als erster Schritt DNA in die Zelle eingeführt, damit diese überhaupt das Cas-Enzym produziert. Das passiert - wie alte Gentechnik - ungerichtet und kann bereits zu unerwünschten Änderungen führen. Beim eigentlichen Einsatz kann CRISPR an falschen Stellen im Erbgut andocken, die der gewünschten sehr ähnlich sehen. Schneidet das Cas-Enzym dort, kann das unerwünschte Folgen haben. In vielen Pflanzen liegen Genabschnitte in mehreren Kopien und Variationen vor, was das Risiko solcher Effekte erhöht. Schneidet das Enzym an der richtigen Stelle, kann es passieren, dass der Reparaturmechanismus der Zelle nicht das gewünschte Ergebnis liefert. Er kann statt der gewünschten DNA-Änderung andere Erbgutteile einbauen, Teile der Gen-Scheren-DNA oder gar keine. Um mögliche Nebeneffekte zu finden, müsste das gesamte Erbgut gezielt daraufhin gescannt werden.

Grundsätzlich gilt, dass die DNA kein statisches, sondern ein dynamisches, interaktives Molekül ist. Bereits kleinste Veränderungen der DNA, egal ob unbeabsichtigt oder gewollt, können somit einen Einfluss auf andere Bereiche haben. Durch solche Wechselwirkungen mit anderen Genen kann sich beispielsweise die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe von Pflanzen verändern oder diese kann anfälliger für Krankheiten werden. Deshalb können Risiken für Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen und müssen umfassend geprüft werden.

Ausführlich hat die Risiken die Fachstelle Gentechnik und Umwelt zusammengestellt.

Editing-Techniken wie CRISPR könnten laut dem Nationalen Geheimdienstdirektor der USA für die Herstellung von "Massenvernichtungswaffen" missbraucht werden. Denn die neuen Verfahren sind auch ohne große Vorkenntnisse anwendbar, wie Baukästen zeigen, mit denen Bakterien im Hobbykeller manipuliert werden können – was in den USA zulässig, in Deutschland jedoch strafbar wäre, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erklärte.


"Mit den neuen Werkzeugen greift man immer noch in das Gefüge des Genoms ein, dessen Funktionsweise wir längst noch nicht ausreichend verstehen."

Angelika Hilbeck, Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich, 26.02.2015 in der WOZ

Der rechtliche Rahmen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Juli 2018 entschieden, dass die durch neue gentechnische Verfahren erzeugten Organismen rechtlich als “genetisch verändert“ gelten und damit dem Gentechnikrecht unterliegen. Er begründete dies mit dem Vorsorgeprinzip: Die mit dem Einsatz dieser Verfahren verbundenen Risiken könnten sich als ebenso groß erweisen wie die mit der klassischen Gentechnik verbundenen Risiken. Durch die neuen Verfahren würden genetisch veränderter Sorten „in einem ungleich größeren Tempo und Ausmaß“ erzeugt als durch die Züchtung mit den altbekannten Mutagenese-Verfahren. Würde man die neuen Mutagenese-Verfahren aus dem Anwendungsbereich des EU-Gentechnikrechts ausklammern, könnten mögliche schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt nicht verhindert werden.

Während Umwelt-, Bio- und Verbraucherorganisationen das Urteil begrüßten, wurde es von Biotechnologen, der Agrar- und Ernährungswirtschaft kritisiert. Sie fordern seither, das EU-Gentechnikrecht zu ändern und zumindest einen Großteil der mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellten Züchtungen ohne Regulierung zuzulassen. Sie begründeten dies zunehmend damit, dass mit den durch NGT hergestellten Pflanzen besonders nachhaltig seien (siehe oben).

Das Fallbeispiel Neues Recht für Neue Gentechnik? beschreibt ausführlich das laufende europarechtliche Gesetzgebungsverfahren und wie die Lobbyisten der Gentechnik-Konzerne es beeinflussen.

Geplante Änderungen

Die EU-Kommission machte sich deren Behauptungen zu eigen und will nun am 5. Juli 2023  einen Vorschlag vorlegen, um das Gentechnikrecht zugunsten von NGT zu ändern. Zu dessen Vorbereitung hatte sie im April 2021 eine Studie vorgestellt, die das alte Gentechnikrecht in Frage stellte.

EU-Kommission: EC study on new genomic techniques (29.04.2021)
Infodienst Gentechnik: EU-Kommission will Regeln für neue Gentechnik diskutieren (29.04.2021)

Es folgten im Herbst 2021 und im Sommer 2022 zwei öffentliche Konsultationen. Anschließend ließ die Kommission ausgewählte Stakeholder für ihre Folgenabschätzung befragen. Zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft kritisierten, dass die Fragestellung der Kommission einseitig und voreingenommen sei. Vorgestellt wurden in dieser Befragung erstmals konkrete Szenarien, wie das Gentechnikrecht zugunsten von NGT umgestaltet werden könnte. Die weitestgehenden sehen vor, Risikobewertung und Rückverfolgbarkeit ebenso abzuschaffen wie Kennzeichnungs- und Nachweispflicht. Die Kommission entgegnete der Kritik, sie werde erst über einen möglichen neuen Rechtsrahmen entscheiden, wenn die Folgenabschätzung abgeschlossen sei.

Der Zeitplan der EU-Kommission
Infodienst: EU-Gentechnik-Konsultation: Steht Ergebnis schon fest? (02.09.2022)
Infodienst: Deregulierung: Pläne der EU-Kommission für neues Gentechnikrecht werden konkreter (25.07.2022)
EU-Kommission/Technopolis Group: Targeted survey for the impact assessment of new legislation on New Genomic Techniques (Juli 2022)

Im April 2023 wurde bekannt, dass ein internes Kontrollgremium der Kommission, das Regulatory Scrutiny Board, die Folgenabschätzung der EU-Kommisison massiv kritisiert hat. Die Kommission habe nicht ausreichend geprüft und bewertet, wie sich ihre geplante Regelung für NGT auf das Vertrauen der Verbraucher:innen, den Biosektor, die Umwelt und die Gesundheit auswirken würden. Dennoch hielt die Kommission an ihrem Plan fest, ihre NGT-Vorschläge noch vor der Sommerpause 2023 vorzustellen. Allerdings hatte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans zuletzt damit gedroht, den NGT-Vorschlag zurückzuziehen, sollte die konservative Mehrheit des EU-Parlaments weiterhin die geplante Verordnung zum nachhaltigen Pestizideinsatz (SUR) ablehnen. Würde die Kommission vor der Sommerpause keinen Verordnungsvorschlag vorlegen, wäre das Thema vorerst vom Tisch. Es bliebe dann angesichts der Europawahlen im Mai 2024 nicht mehr genug Zeit für das Gesetzgebungsverfahren.
Infodienst: Neues Gentechnikrecht erst nach Europawahl? (23.04.2023)
Infodienst: EU-Kommission - ohne Pestizidreduktion keine neue Gentechnik (23.05.2023)

Die Bundesregierung ist in ihrer Haltung zu einer NGT-Regelung gespalten. SPD und weite Teile der Grünen lehnen es ab, das EU-Recht für NGT aufzuweichen. Bundesagrarminister Cem Özdemir hat sich - anders als seine Staatssekretärinnen - noch nicht klar positioniert. Die FDP ist für eine möglichst großzügige NGT-Regelung. Das bedeutet, dass sich Deutschland bei Abstimmungen auf EU-Ebene zu diesem Thema voraussichtlich enthalten würde. Ein breites Bündnis von Bio-, Umwelt, Bauern- und Verbraucheroganisationen versucht, öffentlichen Druck aufzubauen, damit NGT weiterhin im EU-Gentechnikrecht bleiben.
Infodienst: Neue Gentechnik - Kompromisse in der Regierungsstrategie (12.02.2023)
Infodienst: Neue Gentechnik - Ringen um Kurs der Ampel (25.01.2023)
Infodienst: Neue Gentechnik - 420.000 fordern strenge Regeln (02.12.2022)
Infodienst: Verbraucherzentrale - EU-Kommission soll Vorsorgeprinzip beachten (11.11.2022)

Erste Produkte auf dem Markt

In den USA und zahlreichen anderen Ländern gibt es solche Freigaben bereits. Noch befinden sich die allermeisten mit CRISPR/Cas entwickelten Pflanzen im Laborstadium. Angebaut werden bisher in den USA und Kanada zwei mit älteren Gen-Scheren wie TALEN oder ODM hergestellte Pflanzen: ein herbizidtoleranter Raps der Firma Cibus (Markenname Falco) und eine in ihrem Fettsäuremuster veränderte Sojabohne der Firma Calyxt. Am Anbau dieser Bohne haben allerdings die Landwirte kein Interesse mehr – die Erträge waren zu schlecht. Im Sommer 2023 will die Firma Pairwise einen Crispr-Salat aus geschmacklich entschärften Senfblättern auf den Markt bringen. In Japan ist eine Crispr-Tomate zugelassen worden, die einen blutdrucksenkenden Inhaltsstoff namens GABA produziert.

Nach dem Urteil des EuGH brauchen diese Pflanzen eine Zulassung nach Gentechnikrecht, damit sie in die EU eingeführt werden dürfen. Da sie aber in den Anbauländern nicht gekennzeichnet und dort sogar als gentechnikfrei ausgelobt werden, könnten sie jederzeit unbeabsichtigt in die EU gelangen. Dies müssten die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten durch regelmäßige Kontrollen vermeiden. Doch bisher (Stand Juni 2023) unternehmen sie dazu nur wenig.

Der Nachweis bekannter Veränderungen wie bei Cibus-Raps ist möglich und auch andere Veränderungen durch die neue Gentechnik lassen sich im Prinzip nachweisen, da die Eingriffe im Genom typische Spuren hinterlassen. Doch bräuchte es den politischen Willen, die nötigen Nachweisverfahren möglichst schnell zu entwickeln und einzusetzen. Auch müssten die Gentech-Unternehmen dazu verpflichtet werden, Referenzmaterial zur Verfügung zu stellen.
Infodienst: Neue Gentechnik - viele Ansätze für Nachweis (23.03.2023)

Einen Überblick über laufende Forschungen an Crispr-Nutzpflanzen geben folgende Arbeiten:
Joint Research Center der EU: Current and future market applications of new genomic techniques (2021)
Global 2000, IG Saatgut: Neue Gentechnik-Pflanzen: Blick in die Entwicklungspipeline (4/2022)

Neue Gentechnik bei Tieren

Mit Crispr&Co lässt sich auch das Erbgut von Nutztieren verändern. In Experimenten ist es bereits gelungen, die Muskelmasse von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen zu erhöhen. Bei Schafen konnte zudem die Länge der Haare und damit der Ertrag an Wolle gesteigert werden. Geforscht wird auch an hornlosen Rindern oder an Schweinen, die gegen diverse Viruserkrankungen resistent werden sollen. Eine Forschergruppe hat Kühen menschliches Erbgut eingebaut, damit sie ein Antibiotikum produzieren, das Euterentzündungen verhindern soll. Solche gentechnischen Veränderungen hätten vor allem das Ziel, die Tiere an die schädlichen Lebensbedingungen in der Massentierhaltung anzupassen, heißt es in dem Bericht. Sinnvoller wäre es, diese Bedingungen zu ändern und den Tieren ein artgerechteres Leben zu ermöglichen.

Mehrere Forschergruppen versuchen, die Zusammensetzung der von den Tieren erzeugten Lebensmittel zu ändern. Es gibt Versuche, Legehennen so zu verändern, dass ihre Eier ein bestimmtes allergieauslösendes Eiweiß nicht mehr enthalten. Schweine wurden so manipuliert, dass ihr Fleisch relevante Mengen an gesundheitsfördernden Omega-3-Fettsäuren enthält. Ein israelisches Unternehmen hat Legehennen entwickelt, bei denen die wirtschaftlich uninteressanten männlichen Embryonen im Ei gleich nach der Befruchtung absterben.

Schweizer Allianz Gentechfrei: Gentechnik bei Tieren - Boom durch Genomeditierung (3/2022)
Friends of the Earth USA: Genetically Engineered Animals - From Lab to Factory Farm (9/2019)
Infodienst: EU-Behörde - Crispr-Hühner legen nicht nur Gentechnik-Eier (04.03.2022)

Gene Drives - der Vererbungsturbo

Mit Gene Drives lässt sich die Gen-Schere CRISPR/Cas im Erbgut eines Tieres oder einer Pflanze verankern. Dadurch wiederholt sich die gentechnische Veränderung in der nächsten Generation automatisch und kann sich binnen kurzer Zeit in ganzen Populationen ausbreiten. Mehrere Forschungsprojekte befassen sich damit, Mücken, die Krankheiten wie Malaria übertragen, mit Hilfe von Gene Drives auszurotten. Auch die Dezimierung landwirtschaftlicher Schädlinge wird im Labor bereits erforscht. Wie sich eine Freisetzung derart manipulierter Tiere auf die Ökosysteme auswirken könnte, ist völlig unbekannt. Die Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonventionn (CBD) haben deshalb beschlossen, bei eventuellen Freisetzungen von Organismen mit Gene Drive das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Notwendig dafür seien eine wissenschaftlich seriöse Risikoabschätzung des jeweiligen Falles und angemessene Sicherheitsmaßnahmen. Ein Freisetzungsmoratorium scheiterte auf der CBD-Tagung im November 2018 an der Lobbyarbeit der Pro-Gene Drive – Vertreter.

Save our Seeds: Gene Drives: Die neue Dimension der Gentechnik - Anwendungen, Risiken and Regulierung (Mai 2021).
ENSSER: Gene Drives. A report on their science, applications, social aspects, ethics and regulations (29.05.2019)

Ausführlich zu Gene Drives informieren
Die Kampagnen-Seite von Stop Gene Drives
Das Fallbeispiel Gene Drives von Schule&Gentechnik (Januar 2021)


Patente und mögliche wirtschaftliche Folgen

Befürworter:innen argumentieren, dass neue gentechnische Verfahren weniger aufwändig seien und auch von mittelständischen Saatgutzüchtenden angewandt werden könnten – insbesondere dann, wenn teure Zulassungsverfahren wegfallen würden. In der Praxis jedoch sind es die großen Saatgutkonzerne, die mit den CRISPR/Cas-Entwickler:innen zusammenarbeiten und Lizenzen für deren Patente zahlen. Auf dieser Basis hat der Konzern Corteva weltweit bereits 1.430 Patente auf Pflanzen angemeldet, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt wurden. Auf Platz zwei liegt Bayer mit 119 Patenten. Selbst der Deutsche Bauernverband und der Verband der Pflanzenzüchter warnen vor diesen Patenten, obwohl sie NGT befürworten.
Infodienst: Neue Gentechnik - Biopatente bedrohen Züchtungsfreiheit (19.05.2023)
Infodienst: Bericht - Corteva meldet 1400 Patente für genomeditierte Pflanzen an (22.10.2022)
Testbiotech: Neue Gentechnik und Nutzpflanzen: disruptive Einflüsse von Patenten auf Pflanzenzucht, Lebensmittelproduktion und die politische Debatte (Juni 2021)

Die eigentlichen Crispr-Patente halten zum einen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Sie entdeckten an der Universität Berkeley den grundlegenden Mechanismus der Gentechnik-Schere und zeigten 2012, wie sich damit das Erbgut von Bakterien verändern ließ. Die Arbeitsgruppe um Feng Zhang vom Broad Institute in Cambridge, Massachusetts, zeigte ein Jahr später, wie sich die Methode bei Pflanzen, Tieren und Menschen anwenden lässt und ließ sich dies Entdeckung patentieren.
Infodienst: Streit um Crispr-Patente: Wer bekommt die Milliarden? (02.04.2022)
Infodienst: USA: Patentstreit um Gentechnik-Schere CRISPR entschieden (13.09.2018)

Für die Landwirt:innen bedeutet das, dass CRISPR-Pflanzen und Tiere dem Patentschutz unterliegen und eine Nachzucht entweder verboten oder zumindest lizenzpflichtig wäre. Sollten die neue Verfahren doch noch vom Gentechnikrecht ausgenommen werden, würden sie weder einem Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung noch Kennzeichnungs- oder Koexistenzregelungen unterliegen. Es gäbe weder Schutz vor Auskreuzungen noch Haftungsansprüche. Ein intransparenter Import oder Anbau von Pflanzen der neuen Gentechnik würde die Glaubwürdigkeit der zertifiziert gentechnikfreien Land- und Ernährungswirtschaft und des per se gentechnikfreien Ökolandbaus massiv beeinträchtigen. Dies könnte zu drastischen Umsatzeinbußen dieser beiden boomenden Wirtschaftszweige führen. Davor warnt insbesondere der Verband Lebensittel ohne Gentechnik.

Zuletzt aktualisiert: Juni 2023

Wir nehmen Datenschutz ernst!
Unsere Seiten nutzen in der Grundeinstellung nur technisch-notwendige Cookies. Inhalte Dritter (YouTube und Google Maps) binden wir erst nach Zustimmung ein.
Cookie-Einstellungen | Impressum & Datenschutz

OK